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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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leistenkönnen. Ganz im Gegenteil: Normalerweise wäre ich der Musik in dem für mich vorgezeichneten Leben nicht einmal begegnet.»
    «Sie machen mich neugierig.»
    «Meine Familie stammt aus dem Westfälischen», erklärte sie. «Mein Vater, ein einfacher Bergmann, kam bei einer Explosion unter Tage ums Leben, als ich vier Jahre alt war. Der Grubenbesitzer, ein für seinen Stand beachtenswert verantwortlicher Mensch, hat meine Mutter daraufhin als Köchin in sein Haus genommen. So habe ich einen Teil meiner Kindheit in diesem sehr vornehmen Haus verbracht – in einer Dachkammer, versteht sich. Die Kinder der Familie erhielten natürlich Musikunterricht. Klavier und Violine, wie es sich gehört.» Sie lachte auf. «Die beiden waren ungefähr so begabt, wie eben von Ihnen geschildert. Ja, wirklich. – Eines Tages habe ich, unerlaubt, versteht sich, das Instrument in die Hand genommen und einfach zu spielen begonnen. Ich hatte ja schon häufiger beobachtet, wie man es hält und wie man mit dem Bogen darüber streicht. Es war ganz einfach. Es war, als wenn ich nie etwas anderes gemacht hätte. Die Töne, die ich mit dem Mund trällern konnte, kamen wie von selbst. Nach wenigen Malen schon schien mir das Instrument zu gehorchen. Irgendwann erzählten es die Kinder dem Musiklehrer, dem ich daraufhin vorspielen musste und der danach sofort mit dem Hausherrn sprach. Er hat alles bezahlt. Ich werde dem Mann für den Rest meines Lebens dankbar sein müssen. So weit meine Geschichte.» Sie lächelte Sören auf eine merkwürdig unbekümmerte Weise an.
    «Dann verbindet uns vielleicht so etwas wie eine Seelenverwandtschaft», erklärte Sören. «Auch ich habe meine Karriere mehreren glücklichen Zufällen zu verdanken.Mein Vater, ein einfacher Polizist, heiratete in zweiter Ehe die Tochter seines besten Freundes, eines Amtsmedicus, der in seinem Testament verfügte, dass man mir mit seinem bescheidenen Erbe das Studium der Medizin ermöglichen solle.» Sören versuchte, sich an Conrad Roever zu erinnern, dem er eigentlich seinen ganzen Werdegang zu verdanken hatte. Aber das Gesicht seines Großvaters war ihm nur noch von einer ererbten Daguerreotypie präsent. «Eigentlich hatte ich Schiffbauer werden wollen, aber natürlich fügte ich mich dem Wunsch meiner Eltern und studierte Medizin, auch wenn ich letztendlich kein Arzt, sondern Jurist geworden bin. Das Studium der Jurisdiktion ermöglichte mir unter anderem ein wohlwollender Freund, der, wie es den Anschein hat, der Hitze des heutigen Tages auch hierher in die Kunsthalle entflohen ist   …»
    Keine Planung hätte das Zusammentreffen besser arrangieren können. Martin stand zusammen mit Lichtwark vor einem großen Gemälde, und wie es aussah, war eine lebhafte Diskussion zwischen ihnen im Gange. Lichtwark hielt Martin am Arm, seine andere Hand kreiste wild gestikulierend umher, als versuche er, irgendwelche Linien des Bildes vor ihnen nachzuzeichnen. Die beiden standen sehr dicht beisammen, ein merkwürdiger Eindruck persönlicher Vertrautheit lag zwischen ihnen in der Luft. Sören machte mit einem Räuspern auf sich aufmerksam, und beide drehten sich abrupt um, wobei Lichtwark seinen Arm von Martins Schulter nahm, als wäre es nur eine flüchtige Berührung gewesen. «Das nenne ich einen Zufall!», sagte Sören mit gedämpfter Stimme. «Gerade war die Rede von dir.»
    «Sören.» Martins Überraschung wirkte echt und nicht einstudiert. Mit einer vornehmen Verbeugung wandte ersich Sörens Begleitung zu. Es war nicht zu übersehen, dass er Mathilda Eschenbach dabei interessiert musterte. Dann stellte er Lichtwark vor. Sören war dem Kunsthallendirektor ein- oder zweimal flüchtig begegnet, aber es hatte sich nie die Möglichkeit eines Gesprächs ergeben. Er fühlte sich sofort an seinen Sozius erinnert. Auch Johns hatte diesen scharfen Blick, dem man sich kaum zu entziehen vermochte. Lichtwarks Gesichtszüge waren ausgesprochen fleischig, mit etwas hängenden Wangen und einem ausgeprägt großen Kinn. Obwohl er etwa in Sörens Alter sein musste, war sein Haupthaar schon stark gelichtet. Die Oberlippe zierte ein etwas zu knapp gestutzter Schnauzbart.
    Lichtwark wandte sich Sören zu, nachdem er dessen Begleitung seine Aufwartung gemacht hatte. «Dann sind Sie der Advokat, von dem mir Herr Hellwege erzählt hat?»
    Sören blickte Martin fragend an.
    «Es geht um einen juristischen Rat, den Herr Lichtwark gerne zu einem äußerst delikaten Vorfall haben möchte. Ich sagte

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