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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Auftritt eigens seinen besten Gehrock von der Wäscherei abgeholt, trug dazu helle Kniehosen und einen Strohhut mit grünem Samtband. Es sah völlig unmöglich aus, und Tilda hatte einen Lachkrampf bekommen, als sie ihn in der Aufmachung vor dem Spiegel stehen gesehen hatte. Aber als er ihr erzählte, er sei ein Seifenhändler aus dem Märkischen und das erste Mal in Hamburg, hatte sie mit Tränen in den Augen gemeint, auch wenn sie persönlich noch nie einem Seifenhändler begegnet wäre, könne man ihm das durchaus abnehmen.
    Sören hatte inzwischen fast Spaß daran, in andere Rollen zu schlüpfen, und der Seifenhändler war ihm recht gut gelungen. Er sah aus wie jemand, der zufällig in die falsche Localität geraten war. Eine leichte Beute für jeden Nepper. Und genau das hatte er auch beabsichtigt.
    Während er das Labskaus verspeiste, dachte er an Tilda, die bei ihm zu Hause auf ihn wartete. Und diese Vorstellung war mehr als eine Entschädigung für dasschlechte Bier, das man zum Essen serviert hatte. Es schmeckte fade und bitter. Dennoch ließ er sich nichts anmerken und lobte die ausgezeichnete Küche des Hauses, als die Bedienung den Teller abräumte.
    «Ich bin auf der Durchreise», erklärte er, als ihn das Mädchen mit keckem Blick fragte, ob er noch Wünsche hätte. «Kann ich hier auch ein Zimmer bekommen?»
    Sie nickte. «Ich muss fragen, ob wir eins frei haben.»
    «Wenn’s geht, mit Service.» Er warf ihr einen Blick von der Seite zu und schlug dann mit gespielter Schüchternheit die Augen nieder.
    Nach einigen Minuten kam das Mädchen zurück. «Ja, das geht wohl», erklärte sie. «Für die ganze Nacht kostet das Zimmer fünf Mark und fuffzig Pfennige   – Frühstück inklusive.» Sie kicherte. «Den Service müssen Sie aber extra bezahlen. – Hier hinten durch den Gang an den Abtritten vorbei, über den Hof und dann auf der rechten Seite die Tür neben der großen Laterne. Sie werden erwartet.»
     
    «Sie wollten das Zimmer mit Service?» Die Frau, die Sören die Tür geöffnet hatte, lächelte ihn viel sagend an. Nachdem er eingetreten war, schob sie einen schweren Eisenriegel vor die Tür. «Sie sehen, hier sind wir absolut sicher und ungestört.» Sie bat Sören in ein kleines Separee neben der Tür. «Wenn wir vielleicht erst das Geschäftliche hinter uns bringen könnten? Dann ist die Atmosphäre viel entspannter   …»
    Sören nickte und zog seine Geldbörse aus der Tasche. Da er nicht beabsichtigte, einen Service, welcher Art auch immer, wirklich in Anspruch zu nehmen, ließ er sich gehen und versuchte, so gut es ging, die Rolle des finanzkräftigen Freiers zu mimen. Genug Phantasie besaßer wohl, nur an Erfahrung mangelte es. Sicher war jedoch, dass man hier mit dem Rock auch jegliche Moral ablegte. Wer ein solches Freudenhaus betrat, behandelte Menschen für gewöhnlich, als wären sie eine Ware – man zahlte schließlich dafür. Wahrscheinlich würde die Frau ihn gleich in eine Art plüschig eingerichteten Salon führen, wo leicht bekleidete Damen mit ungezwungenen Gesten auf ihre Reize und Vorzüge aufmerksam machten. Auch sie spielten nur eine Rolle; manche besser, anderen würde es weniger gut gelingen zu verbergen, dass man dem Gewerbe nur deswegen nachging, weil einem nichts anderes übrig blieb oder weil man es nicht anders gelernt hatte. Jeder Mann, der glaubte, dass die Damen bei ihrer Arbeit so etwas wie Lust empfanden, musste ein vollständiger Narr sein. Wohl auch aus diesem Grund hatte Sören bislang noch nie mit dem Gedanken gespielt, ein solches Etablissement aufzusuchen.
    «Das macht dann fünf fünfzig für das Zimmer. Alles Weitere wird oben bezahlt.»
    Sören reichte ihr einen Zehner. «Stimmt so.»
    «Danke. Sehr großzügig, der Herr.» Nachdem sie den Geldschein in eine Schublade gesteckt hatte, war ihre geschäftsmäßige Miene plötzlich wie weggeblasen. «Was schwebt Ihnen denn so vor?», fragte sie mit nonchalantem Lächeln. «Irgendwelche Wünsche, was Haarfarbe, Körpermaße, Alter oder spezielle Vorlieben betrifft?»
    Sören fiel nur Ilse Maders Spitzname ein. Er wusste ja sonst nichts über sie. «Stiefel», meinte er. «Es wäre schön, wenn sie hohe, lederne Stiefel tragen würde.»
    «Stiefel», wiederholte die Frau und nickte verständnisvoll. «Aber ja doch. Da haben Sie großes Glück. Elli ist zwar nicht mehr die Jüngste, aber sie ist auf solche Dinge spezialisiert.»
    «Das Alter spielt eher eine untergeordnete Rolle», erklärte Sören

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