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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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seinen Bart, dann faltete er seine Hände wie zum Gebet und rieb die Daumen aneinander. «Aber ich will ganz ehrlich zu Ihnen sprechen: Es war nicht mein Vorschlag, sondern der von Senator Versmann.» Für einen Moment fixierte er Sören, dann fuhr er fort: «Ich persönlich favorisiere mehr die Staatsanwälte Romen oder Roscherfür den Posten. Beide sind geradezu prädestiniert für die Leitung der Criminalpolizei, insbesondere Romen, der sich mit der Problematik der Sozialisten sehr gut auskennt. Wir müssen ja davon ausgehen, dass sich die Schwierigkeiten mit den Sozialdemokraten in Zukunft verstärken werden. Da müssen wir gerüstet sein.» Hachmann ballte die rechte Hand zur Faust und schlug mehrmals in seine linke Handfläche. «In diesem Sinne ist auch die gleichzeitige Leitung der Politischen Polizei von Vorteil. Kein großes Kompetenzgerangel, sondern Zackzack. Sie verstehen?»
    Ja, Sören verstand sehr gut. Genau darin lag der Grund, warum er abgelehnt hatte. Hachmanns Worte hatten es ihm bestätigt. Sören konnte nur hoffen, dass die endgültige Wahl auf Gustav Roscher fiel. Mit Romen war er schon bei mehreren Prozessen aneinander geraten. Das war ein ganz ausgekochtes Schlitzohr. Als Staatsanwalt griff er schon mal zu Methoden, die man durchaus als unsauber bezeichnen konnte. Außerdem war er als Sozialistenhasser bekannt. Allerdings hatte Sören ihre gerichtlichen Wortgefechte bislang immer zugunsten der Verteidigung entscheiden können.
    Hachmann räusperte sich. «Wenn es das war?» Er erhob sich. «Ich will nicht unhöflich erscheinen, aber ich habe noch ein wichtiges Gespräch mit dem Vorstand der HAPAG. Sie verstehen?»
    Ja, Sören verstand auch das. Er hatte vorhin ja schon vernommen, woran der HAPAG gelegen war. Man wollte Unbedenklichkeitsbescheinigungen, was eine mögliche Ansteckungsgefahr auf und von ihren Schiffen betraf. Er überlegte, ob die Angelegenheit womöglich ein juristisches Nachspiel haben könne. Aber solange keine eindeutigen Beweise vorlagen, dass es sich um die asiatischeCholera handelte, würden sich alle Beteiligten im Ernstfall hinter ihrem guten Glauben verstecken können. Eingeweidekatarrh und Seekrankheit: War der Senator wirklich so naiv, oder wollte er die Wahrheit nicht sehen? Aber das war in diesem Fall auch egal. Erst wenn wissentlich falsche Papiere ausgestellt wurden, lag eine Straftat vor. Und das musste man erst einmal beweisen. Sören verabschiedete sich.
     
    «Wollers Stuben» wirkten zwischen den modernen Zinshäusern, die in St.   Georg während der letzten drei Jahre errichtet worden waren, wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Epoche. Hier an der Großen Allee, wo sich der Stadtteil wie ein breiter Korridor bis zum gegenüberliegenden Besenbinderhof öffnete, lag die Hauptzugangsstraße für alle Reisenden, die aus Richtung Osten in die Stadt kamen. Alles wirkte ein wenig schmutzig und schäbig, was wohl auch daran lag, dass sich viele kleine Gewerke, deren Dienstleistungen vor allem im Zusammenhang mit dem Reiseverkehr standen, an der viel befahrenen Straße niedergelassen hatten. Handwerksbetriebe, Hufschmiede und Wagenschlosser waren hier ansässig, und auch wenn ein immer größerer Teil der Reisenden heutzutage lieber mit der Eisenbahn fuhr, verkehrten noch genug Reisekutschen, denn viele Orte waren mit Pferd und Wagen einfacher und vor allem billiger zu erreichen.
    Sören kannte das Haus vom Vorbeifahren, aber er hatte nie auf den Namen des Wirtshauses geachtet, dessen verblichene Lettern auf der Fassade kaum zu erkennen waren. Es war ein zweigeschossiger, traufständiger Bau mit einer rotbraun verputzten Fassade. So sah es zumindest aus der Entfernung aus. Wenn man näher kam,konnte man erkennen, dass es sich um ein altes Fachwerkhaus handelte, dessen Ziegelflächen und Ständer einfach mit Farbe übertüncht worden waren. Auf der linken Seite gab es eine große Hofdurchfahrt, die mit einem hölzernen Tor verschlossen war. Hier musste es zu den Hinterhäusern gehen, von denen Hannes Zinken gesprochen hatte. Vor der Eingangstür prangte eine Holztafel mit einem Hinweis auf Gästezimmer.
    Nachdem der Stalljunge das Pferd abgespannt und zusammen mit dem Wagen in einer kleinen Remise neben dem Gasthaus untergestellt hatte, drückte Sören ihm drei Groschen in die Hand und sagte, er wisse noch nicht genau, ob er nächtigen würde. Er wäre auf der Durchreise und würde eventuell noch heute spät am Abend weiterreisen. Er hatte für diesen

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