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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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saniert, mein lieber Kraus. Das sind nicht nur die Brutstätten solcher Krankheiten, sondern auch die Kerngebiete sozialer Unruhen. Großer Bäckergang, Springeltwiete und die Viertel jenseits der Steinstraße sowie um den Schaarmarkt. Es ist immer dasselbe: Von dort breitet sich alles aus. Wenn die Stadt nicht ihr ganzes Geld in die Zollanschlussbauten hätte stecken müssen, hätten wir diese Viertel bereits alle niedergelegt. Nun, alles zu seiner Zeit. Wir müssen jetzt einen klaren Kopf behalten. Rumpf hat schon mit Senator Lappenberg gesprochen, dem die Gesamtleitung der Krankenhäuser obliegt. Ich habe das noch gerade rechtzeitig erfahren und konnte Lappenberg beruhigen.»
    «Wie schön.»
    «Ja. Sorge bereitet mir allerdings die Aufrechterhaltung des Handels. Seit vorgestern sitzt mir die HAPAG im Nacken. Es geht um die Auswandererschiffe. Man hat Angst, dass sie zurückgeschickt werden. Es hat schon einige Zwischenfälle auf den Schiffen gegeben.»
    «Cholera?»
    «Ach was! Brechdurchfall, Eingeweidekatarrh und die üblichen Seekrankheiten. Ich habe Vizekonsul Burke schon versichert, dass es bestimmt keine asiatische Cholera ist. Die entsprechenden Begleitpapiere wurden ausgestellt.»
    «Und wenn der Erreger doch nachgewiesen wird?»
    «Mensch, Kraus, nun machen Sie sich doch nicht in die Hose! Ich habe mich mit den Senatoren Schemmann und Wesselhöft
abgesprochen. Auch sie sind der Meinung, man darf auf keinen Fall voreilig handeln. Der Rest des Senats wird das ähnlich sehen.»
    «Von Wesselhöft hat mich gestern aufgesucht. Er sagte mir, selbst wenn es tatsächlich die asiatische Cholera wäre, bräuchte man nur etwa drei Tage, um die Sache in den Griff zu bekommen. Eine verhängte Quarantäne würde hingegen immer viel länger dauern als notwendig. Von daher sollte das Interesse der Stadt bei allen Entscheidungen im Vordergrund stehen; eine Meldung nach Berlin dagegen sei ein Garant dafür, dass der städtische Handel über längere Zeit zum Erliegen kommen würde.»
    «Sehen Sie, Kraus, wir leben ja nicht mehr im Mittelalter. Ich werde jedenfalls keine Meldung nach Berlin machen, bis wir uns absolut sicher sind. Und Sie unterrichten mich täglich über die weitere Entwicklung, ja?»
    Sören zuckte erschrocken zusammen, als sich die Tür plötzlich öffnete und die beiden heraustraten. Aber er hatte ja nicht an der Tür gelauscht und brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben. Dennoch war das, was er gerade gehört hatte, nicht für seine Ohren bestimmt gewesen. Man wollte es also aussitzen. Der Senat wollte die Vorkommnisse totschweigen, weil man der Aufrechterhaltung des Handels einen höheren Stellenwert für das Wohl der Stadt beimaß als der Gesundheit der Bevölkerung. Aber war das nicht immer schon so gewesen?
    Sören erhob sich und stieß dabei ungeschickt die Teetasse auf dem Tisch um.
    Hachmann kam auf ihn zu, nachdem er den Medicinalrat verabschiedet hatte. «Mein lieber Dr.   Bischop. Es tut mir ausgesprochen Leid, dass Sie warten mussten   …»
    Sören reichte ihm die Hand und deutete auf das Missgeschick auf dem Tisch.
    Der Senator winkte ab. «Lassen Sie, darum kümmert sich mein Sekretär. Kommen Sie.» Er zeigte auf die offene Tür zu seinem Arbeitszimmer und legte Sören für einen kurzen Moment die Hand auf den Rücken, um ihn zu führen. Sören hatte diese Geste, mit der hoch gestellte Persönlichkeiten ihren Gästen den Vortritt ließen, schon immer unangenehm und herablassend gefunden, aber er hatte gelernt, damit umzugehen. Momentan schossen ihm andere Dinge durch den Kopf, die ihn viel mehr aufregten.
    «Nehmen Sie doch Platz», sagte Hachmann, nachdem er die Tür geschlossen hatte.
    Sören wartete einen Augenblick, bis sich Hachmann auf seinem Sessel niedergelassen hatte. «Verehrter Herr Senator», begann er. «Ich hatte um diese Unterredung gebeten, um Ihnen meine Entscheidung bezüglich des Angebots der Leitung der Hamburger Criminalpolizei mitzuteilen. Ich will mich kurz fassen, und ich hoffe, Sie billigen meine Entscheidung. – Obwohl mir der Posten an sich sehr reizvoll erscheint, bin ich nach reiflicher Überlegung zu der Überzeugung gelangt, dass ich nicht der richtige Mann für diese Aufgabe bin.»
    Hachmann lehnte sich bequem zurück und schlug die Beine übereinander. «Respekt, Dr.   Bischop. Respekt. Ich kenne nicht viele Menschen, die ein solches Angebot ausschlagen würden. Ihre Entscheidung verdient meine Hochachtung.» Er strich sich mit den Fingern durch

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