Der blaue Tod
zuckte mit den Schultern. «Wir sehen uns kaum», erklärte sie. «Und wenn er mal heimkommt, zieht er gleich mit seinen Kameraden los.»
Sören verkniff sich jeglichen Kommentar zu ihrem Ehemann. Er hatte Andreas von Schoenaich nur einmal gesehen, und das war auf ihrer Hochzeit vor gut zwei Jahren gewesen. Er entsprach genau dem Bild, das man von einem Oberst der Preußischen Armee haben konnte. Sören hatte nie verstanden, warum Frieda dieser Verbindung zugestimmt hatte. Die freche und unternehmungslustige Frieda – mit so einem uniformierten Lackaffen. Sonst hatte sie sich mit ihrem Trotzkopf doch auch immer über die Weisungen ihres Vaters hinweggesetzt. Ehrlich gesagt verstand er immer noch nicht, was in sie gefahren war. Als Frieda ihm damals ihre Zukunftspläne gebeichtet hatte, war das natürlich das Ende ihrer kleinen Liaison gewesen, aus der, wenn es nach ihm gegangen wäre, durchaus mehr hätte werden können. Es war natürlich eine heimliche Affäre gewesen, aber bis auf ein paar innige Küsse und zärtliche Umarmungen war auch nichts geschehen, was irgendwelche Folgen oder Verpflichtungen nach sich gezogen hätte.
Jetzt, als er neben ihr herschritt, kam Sören das alles vor, als läge es Jahrzehnte zurück. Irgendwie fühlte er sich immer noch zu ihr hingezogen, aber das war überhaupt nichts im Vergleich zu dem, was er für Mathilda empfand. Sie gingen noch ein Stück bis zu ihrer Droschke. Sören versprach, sich bei ihr zu melden, aber eigentlich wusste er bereits, dass es nicht dazu kommen würde. Wenn ihre Ehe sie wirklich so unbefriedigt ließ, war es besser, wenn er gar nicht erst in Verlegenheit kam, eventuelle Erwartungen ihrerseits zu enttäuschen. Er blickteihrer Droschke noch einen Augenblick nach, dann ging er zu seinem Wagen und machte sich auf den Weg zu Johanna von Wesselhöft.
Während Sören den Schwanenwik entlangfuhr, fiel sein Blick auf die Uhlenhorster Badeanstalt, die dem Uferstreifen der Alster wie eine kleine Insel vorgelagert war. Es herrschte Hochbetrieb, wie an den vielen farbigen Punkten auf den Stegen und den weißen Badehauben im Wasser zu erkennen war. Jeder, der es sich erlauben konnte, nutzte den Weg zur Badeanstalt für eine kleine Abkühlung, obwohl die Wassertemperatur aufgrund der lang anhaltenden Hitze bestimmt nicht mehr erfrischend war. Sören überlegte, ob er jemals einen so heißen Sommer in der Stadt erlebt hatte. Der letzte Regen mochte mehr als zwei Monate zurückliegen, und es sah nicht danach aus, als wenn sich die Wetterlage in nächster Zeit ändern würde.
Auch die Uferpromenade an der Schönen Aussicht war belebt. Überall flanierten Fußgänger, die seidenen Sonnenschirme der Damen tanzten gemächlich auf und nieder. Ab und zu wirbelte ein schwacher Windstoß eine kleine Staubwolke über die Böschung. Dann blähten sich die Segel der kleinen Dinghis, die unweit des Ufers vor sich hin dümpelten, für einen kurzen Moment auf, und das Ensemble der Ausflugs- und Ruderboote auf dem Wasser geriet in Bewegung. Der Ausblick auf das Panorama der Stadt machte dem Namen der Straße wirklich alle Ehre. An kaum einer anderen Stelle zeigte sich der innerstädtische See so eindrucksvoll wie hier. Dass die Kirchtürme der Stadt von hier aus wie Miniaturen wirkten, führte einem die Größe der Außenalster wirkungsvoll vor Augen.
Sören drosselte das Tempo auf Schrittgeschwindigkeit, und sein Blick suchte die rechte Seite des Weges nach der gesuchten Hausnummer ab. Die großen Villen, die sich hier hinter halbhohen Bäumen versteckten, bildeten zwar das Pendant zu den Bauten auf der anderen Alsterseite, aber sie waren in der Regel nicht ganz so prunkvoll wie die Villen entlang des Harvestehuder Weges. Den dortigen Bauten konnte man die Selbstliebe ihrer Bewohner nur allzu deutlich ablesen. Es waren Renaissance-Palazzi, die mit ihren Ball- und Festsälen, Treibhäusern und unterirdischen Kegelbahnen wie kleine Herrschersitze das Ufer säumten. Abgesehen vom Uhlenhorster Fährhaus, dessen verspieltes Ensemble aus Türmchen und Arkaden schon fast mediterranes Flair versprühte, waren die großen Stadtvillen auf der Uhlenhorst deutlich schlichter gehalten, was den Gesamteindruck indes nicht schmälerte. Die Villa der Familie von Wesselhöft war eines dieser fast schmucklosen Häuser, die man vergleichsweise bescheiden hätte nennen können, wären sie nicht so groß gewesen. Türme und protzigen Bauschmuck suchte man jedenfalls vergeblich. Hinter den großen
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