Der blaue Tod
Fenstern im Erdgeschoss vermittelten geraffte Vorhänge aus dunkelblauem Samt den zurückhaltenden Eindruck gediegener Eleganz.
Nachdem Sören dem Hausmädchen seine Karte gereicht und sein Anliegen vorgetragen hatte, führte sie ihn in den Salon neben dem Entree und bat ihn, dort zu warten. Der Raum war mit ungewöhnlicher Akkuratesse eingerichtet, es wirkte auf Sören, als hätte man ihn allein für Ausstellungszwecke entworfen. Farblich war alles in Blauweiß aufeinander abgestimmt. Zudem schien die ganze Ausstattung völlig symmetrisch zu sein. An beiden Stirnseiten waren große Kamine in die Wandeingelassen. Bordüren, Kandelaber, Gesimse und halbrunde Nischen, in denen zierliche Gipsfiguren standen, wiederholten sich an jeder Wandseite. Unter der weiß gestrichenen Kassettendecke hing ein filigraner Kronleuchter. Selbst das Arrangement auf dem Tisch in der Mitte des Raumes war sorgfältig auf den Gesamteindruck abgestimmt worden. Blaue Kerzen in weißen Porzellanleuchtern. Daneben blaue Vasen mit weißen Orchideen. Selbst der chinesische Teppich auf dem Boden griff die Farbtöne auf. Einzig das weiße Cembalo, das vor einem der Kamine stand, unterlief das Gesetz der Symmetrie.
Nach einer Weile erschien das Mädchen aufs Neue, machte einen höflichen Knicks und forderte Sören mit einer schlichten Geste auf, ihr zu folgen.
Sie durchquerten die große Halle in der Mitte des Hauses und betraten einen Raum auf der gegenüberliegenden Seite, der, wie Sören überrascht feststellte, fast identisch eingerichtet war, nur dass hier alles in Grün-Weiß gehalten war und anstelle des Cembalos eine große Harfe im Zimmer stand. Offenbar hatte das Mädchen seinen Besuch nicht Johanna von Wesselhöft gemeldet, sondern ihrem Mann. Adolf von Wesselhöft erhob sich, als Sören das Zimmer betrat, aus seinem Stuhl. Sören nahm erstaunt zur Kenntnis, dass der Senator nur unwesentlich älter als er selbst sein mochte. Das letzte Mal hatte er ihn im Mai beim Richtfest des neuen Rathauses gesehen. Ohne Amtstracht wirkte er deutlich jünger.
«Guten Tag, Herr Dr. Bischop. Welches Anliegen führt Sie in mein Haus?» Adolf von Wesselhöft strich einige Falten aus seinem Hausrock. Er war aus grüner Seide, und Sören überlegte kurz, ob das Zufall war oder krankhafte Akribie.
«Herr Senator.» Sören deutete eine Verbeugung an.«Der Weg führte mich eigentlich zu Ihrer Frau Gemahlin.»
Adolf von Wesselhöft zog die Augenbrauen zusammen und musterte Sören. «Ihrer Karte entnehme ich, dass Sie Advokat sind.»
Sören nickte. «Ihre Frau Gemahlin beauftragte mich wegen einer Erbschaftsangelegenheit», sagte er, da er nicht genau wusste, inwieweit Adolf von Wesselhöft im Bilde war.
«In rechtlichen Fragen konsultiert die Familie traditionell eine andere Kanzlei», entgegnete Adolf von Wesselhöft und zupfte sich einige für Sören unsichtbare Fussel vom Ärmel.
«Es handelt sich um die Schwester Ihrer Frau Gemahlin», antwortete Sören. Adolf von Wesselhöft wusste also von nichts. Wenn Johanna von Wesselhöft nicht im Hause war, musste sich Sören etwas einfallen lassen, wenn er in der heiklen Angelegenheit die nötige Diskretion wahren wollte.
«Viktoria starb vor vier Jahren», erklärte der Senator. «Schwindsucht», fügte er hinzu. «Ich wüsste nicht, was es da noch an offenen Fragen geben könnte. Und um das Erbe ihres Vaters kümmert sich, wie ich annehme, doch ihr Bruder?»
Es war also, wie er von Anfang an vermutet hatte, dachte Sören. Johanna von Wesselhöft hatte ihn angelogen. Ihr panisches Flehen um absolute Diskretion galt nicht dem Ruf ihrer Schwester. Es war ihr eigenes Kind, das Sören ausfindig machen sollte. «Ich komme wegen einiger Papiere Ihrer verstorbenen Frau Schwägerin, die erst jetzt aufgetaucht sind. Darunter befindet sich eine unbezahlte Rechnung», log er. «Es ist ein geringer Betrag, und Ihre Frau Gemahlin wollte Sie wohl nicht mitso einer Petitesse belästigen; also beauftragte sie mich, die Angelegenheit ohne großes Aufsehen ins Reine zu bringen.»
«Ich verstehe.» Adolf von Wesselhöft zwirbelte sich den Schnauzer. «Das sieht meiner Frau ähnlich. Sie weiß ja, dass ich derzeit eine Menge um die Ohren habe …» Er wandte sich zum Fenster. «Sie ist leider nicht im Hause, sondern bei ihrem Bruder, Herrn Gunnar Smitten. Wenn Sie es also vielleicht morgen noch einmal versuchen könnten? Dann werden Sie meine Frau antreffen. Sie brauchen ja nicht zu erwähnen, dass ich nun von der
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