Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
Vom Netzwerk:
dann passiert?»
    «Er muss wohl irgendwie doch gemerkt haben, dass ihm jemand gefolgt ist, obwohl ich mich immer im Schatten gehalten habe», sagte David entschuldigend. «Ich hatte mich in einer Mauernische versteckt, und plötzlich taucht ein riesiger Kerl auf, der mich am Hals packt.»
    «Gustav», murmelte Sören tonlos.
    «Der hatte Hände wie ein Schraubstock. Er hat auch nicht lange gefackelt, sondern gleich losgeprügelt. Dann hat er mich mit voller Wucht gegen die Mauer gestoßen. Es hat so wehgetan, dass bei mir für einen Augenblick die Lichter ausgegangen sind. Aber er hat nicht aufgehört. Wenn ich nicht über die Quaimauer ins Wasser gesprungen wäre, hätte er mich sicher totgeschlagen.»
    «Ich schwöre dir, der Kerl wird seine Strafe bekommen.» Sören holte tief Luft.
    «Für einen Moment bin ich weggetaucht», erzählte der Junge weiter, «dann habe ich mich an einem Dalben festgehalten. Er ist aber nicht hinterher.» David grinste schwach. «Dachte wohl, ich bin ertrunken. Aber ich konnte mich kaum noch bewegen, weil meine Brust so wehtat. Bei Sonnenaufgang hat mich dann eine Barkasse aufgefischt.»
    Sören strich ihm behutsam durchs Haar. «Du bist sehr tapfer, David.» Er blieb noch über eine Stunde bei dem Jungen sitzen und erzählte ihm, dass er mit dem Arzt abgesprochen hätte, ihn morgen oder übermorgen hier herauszuholen. David war das erst gar nicht recht; das Bett sei so schön bequem. Erst als Sören ihm versprochen hatte, er könne vorerst bei ihm im Haus bleiben und da gäbe es ebenfalls weiche Betten, war der Junge einverstanden.
     
    Sören wanderte tief in Gedanken versunken über das Krankenhausgelände, als er jemanden seinen Namen rufen hörte. Die Stimme kam ihm bekannt vor, und es gab auch nicht allzu viele Menschen, die ihn beim Vornamen riefen, dennoch vermochte er sie im ersten Moment nicht einzuordnen. Erst als die junge Frau näher kam, erkannte er Frieda von Ohlendorff.
    «Frieda. Was machst du denn hier? Alles in Ordnung?» Er zögerte kurz, welche Form der Begrüßung nach der langen Zeit, die sie sich nicht gesehen hatten, angemessen war. Schließlich hatten sie sich einmal recht nahe gestanden. Aber da ohnehin niemand in der Nähe war, der sie hätte beobachten können, gab er ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange, so wie er es schon früher immer gehalten hatte, wenn sie allein gewesen waren.
    «Was ich hier mache? Das Gleiche wollte ich dich auch gerade fragen», entgegnete Frieda. «Kommst du von einem Krankenbesuch?»
    Sören nickte und musterte Frieda von Kopf bis Fuß. Das Letzte, was er von ihr mitbekommen hatte, war die Geburtsanzeige ihrer Tochter Camilla gewesen, die sie ihm im November letzten Jahres geschickt hatte. Friedawar jetzt einundzwanzig, aber sie hatte sich kaum verändert. Auch ihre jugendliche, kecke Art hatte sie allem Anschein nach nicht abgelegt. Immer noch umspielte das spitzbübische Grinsen ihre Lippen, mit dem sie ihn früher schon betört hatte.
    «Doch hoffentlich nichts Ernsthaftes?»
    «Keine Cholera, wenn du das meinst.»
    «Ja, das meinte ich. Ich mache mir solche Sorgen   …» Frieda deutete auf den Haupteingang des Krankenhauses. «Eine Blumenfrau aus Hamm», erklärte sie. «Sie ist vor meinen Augen zusammengebrochen, als ich ein Arrangement bestellen wollte. Ich habe sie mit der Droschke hergefahren. Niemand wollte wahrhaben, dass sie schnell ins Krankenhaus muss. Gehen wir ein Stück gemeinsam?»
    «Gerne. Ich begleite dich zu deinem Wagen.»
    «Man hört es ja aus allen Ecken der Stadt. Der Arzt, der sie aufgenommen hat, wusste auch gleich Bescheid.»
    «Bist du schon länger in der Stadt?», fragte Sören.
    «Ich verbringe gerade ein paar Tage bei meinen Eltern. Zu Hause fällt mir langsam die Decke auf den Kopf. Ich langweile mich auf Klein Tromnau noch zu Tode.» Sie blickte Sören an und schnitt eine Grimasse. «Vielleicht kann ich mich jetzt ja hier etwas nützlich machen. Der Arzt meinte, es gäbe inzwischen so viele Fälle, dass man durchaus mit einer Epidemie rechnen müsse. In Krankenversorgung kenne ich mich ein wenig aus. Und so etwas liegt ja auch in der Tradition unserer Familie, schließlich hat mein Vater im Krieg für die Verwundetenfürsorge extra ein kleines Spital errichten lassen. Ich werde mit ihm sprechen, ob wir nicht   …»
    «Und was wird dein Gemahl dazu sagen?»
    «Nichts», sagte Frieda barsch. «Der weilt doch ständigin Kiew, sein Regiment ist im Gouvernement stationiert.» Sie

Weitere Kostenlose Bücher