Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
Vom Netzwerk:
elenden Lebens, des Murrens und des äffischen Benehmens!« Er zeigte dem Jungen, wo er weiterlesen sollte. »Und jetzt du.«
    »Waaas?«
    »Lies. Hier.« Kosmann legte den Finger auf die Seite.
    »Warum bist du unruhig?«, flüsterte Dirk.
    »Weiter, weiter. Abschnitt 37.«
    »Was findest du hier so unerhört? Was bringt dich außer Fassung? Die ur… ur… ur… ursächliche Kraft der Dinge? Besieh sie nur! Aber vielleicht der Stoff? Besieh ihn nur! Außer diesen aber gibt es ja nichts. Sei also doch endlich einmal argloser und f… freundlicher gegen die Götter! Ist es ja einerlei, ob du hu… hundert oder nur drei Jahre lang diese Untersuchungen anstellst.«
    »Gut«, sagte der Trainer, »und jetzt zehn Minuten Seilspringen. Ohne Pause. Los, holt euch alle ein Seil aus der Kiste.«
    Als der Nachmittag vorbei war, sahen wir uns ein bisschen ähnlicher. Alle zehn waren wir gleich müde, alle gleichermaßen beeindruckt von Kosmann, der, wie angekündigt, nicht mehrgetan hatte, als uns zuzurufen, dass wir uns, ganz egal wobei, mehr Mühe geben sollten. Im Umkleideraum lachten wir alle über Dirk, der den Text vorgelesen hatte, ohne ihn zu verstehen.
    »Erzähl uns doch noch mal was über die ur… ur… ursächliche Kraft der Dinge!«
    Auch ich fragte mich, was ein römischer Kaiser mit dem Boxen zu tun hatte, freute mich aber dennoch darauf, in einer Woche mehr über Aurels Vorstellungen zu erfahren – »Bei jedem Training ein Abschnitt«, hatte Kosmann gesagt. Es war, wie in etwas Unsichtbares und Unbegreifliches eingeweiht zu werden, das ich trotzdem nach und nach verstehen würde.
    Ich stopfte die Hose in meine Tasche und ging in die Halle, um mich vom Trainer zu verabschieden, doch da war niemand mehr. Nur der Geruch nach Schweiß hing noch in der Luft.
    Vicky hielt das für ein schönes Ende. Ich war vor allem deshalb zufrieden, weil es mir gelungen war, Delmonte aus der Geschichte auszuklammern. In dieser ersten Boxstunde hatte ich ihn zwar nicht wahrgenommen, aber er war ganz bestimmt da gewesen.
    »Deswegen sind Sie also jetzt so weise«, sagte sie.
    Ich wollte ihr schon widersprechen, merkte aber gerade noch rechtzeitig, dass sie sich über mich lustig machte. »Ich will mal so sagen: Kosmann hat mich seither nicht mehr losgelassen.«
    »War das so jemand wie, wie hieß er noch gleich, Luizão?«
    »Luizão war einfach ein guter Geschäftsmann. Boxen für Senioren, darauf muss man erst mal kommen! Nein, das war nichts Besonderes.«
    Trotzdem fehlen mir die Vormittage in der kleinen Sporthalle immer noch. Achtzig sei ein gutes Alter, um aufzuhören, hatte ich gesagt, als hätte mein Kopf das beschlossen. Dabei hatten einfach meine Gliedmaßen den Dienst verweigert. Spazieren gehen.Das konnte ich noch. Zuerst ging ich stundenlang durch die Nachbarschaft, jetzt schaffe ich es nur noch um den Block.
    »Solange Sie in Bewegung bleiben, alter Mann.«
    Wie es Vicky wohl geht? Sie hält die Wohnung in Schuss, darauf kann ich mich verlassen. Abends hockt sie vor dem Haus. Neben meinem Schaukelstuhl. Die Jungen aus der Straße rennen barfuß hinter einem Ball her. Ein Nachbar, der Kleine mit dem Walrossbart, streitet mit seiner Frau. Von irgendwoher hört man den Lärm einer Bohrmaschine. Eine Boeing von Total Linhas fliegt tief über die Häuser hinweg.
    Alles ist wie immer, bloß ohne mich.
    »So, das könnte was für Sie sein«, sagt Noor, »Pekelhaaring in der Van Woustraat. Hat bis Mitternacht geöffnet und ist höchstens eine Viertelstunde zu Fuß von hier entfernt.«
    Sie schreibt mir die Adresse auf einen Zettel.
    Ach ja, so war das gewesen: Ich hatte mich einen Moment hingelegt, war wahrscheinlich eingenickt und dann – mit einem seltsamen Hungergefühl, das, wie ein verwöhntes Gör, sowieso nicht zur Ruhe gebracht werden konnte – hinuntergegangen, um Noor zu fragen, wo ich hier in der Gegend etwas essen könnte.
    »Sie schaffen es doch, ein kleines Stück zu Fuß zu gehen, oder?«
    Ich möchte ihre Zweifel zerstreuen, indem ich, wie früher, ein paar Mal in die Luft boxe, rechts, links, rechts, aber mehr, als den Daumen zu heben, ist nicht drin. Ich nehme den Zettel an mich und gehe hinaus.

16
    Der Himmel ist dunkelblau, ohne Sterne. Es ist fast windstill. Noor sagte, es sei schönes Wetter, und wenn sie damit meint, dass es heute nicht besonders kalt ist, dann hat sie recht. Trotzdem ist es lange her, dass ich einen so warmen Mantel anziehen musste.
    Ich biege links um die Ecke und bleibe gleich

Weitere Kostenlose Bücher