Der blaue Vogel kehrt zurück
vermischen.
Essen. Ich muss etwas essen. Das wird mir guttun.
Ich lehne die Stirn an die Hauswand. Eine Tür geht auf, ein junger Mann fragt, ob er mir behilflich sein könne, zumindest schließe ich das aus seinen Gesten. Anscheinend hat er etwas mit den orientalischen Spezialitäten zu tun. Wir können uns nicht verständigen. Ich zeige ihm Noors Zettel. Er hakt sich bei mir unter, und zusammen spazieren wir zurück zum Restaurant. Er lotst mich durch die schweren Vorhänge im Eingangsbereich und übergibt mich einem großen Mann mit kahl rasiertem Schädel, der sich erkundigt, ob ich reserviert hätte. Ich schüttele den Kopf, und er sieht mich besorgt an. »Bleiben Sie lange?«
»Ich möchte gerne etwas essen«, antwortete ich, »nur eine Kleinigkeit.«
»Kommen Sie mit.« Er geht zu einem Ecktisch und gibt mir ein Holzbrett mit ein paar Seiten darauf, die von einer Klammer zusammengehalten werden.
»Ich würde Ihnen etwas von der kleinen Karte empfehlen. Das Tagesgericht ist Antipasto mit Fisch. Drei Stockfischkroketten auf einem Bett von Rucola und süßen roten Zwiebeln, wie hört sich das an?«
»Ausgezeichnet. Fisch ist mein Lieblingsge…«
»Und zu trinken? Ein Glas Wein?«
»Orangensaft bitte. Ist hier immer so viel los, Meneer?«
»Ja, besonders am Freitagabend.«
»Viele junge Leute«, sage ich.
Der Kellner nickt. Ich glaube nicht, dass er mich gehört hat. Ich ziehe den Mantel aus und hänge ihn über die Lehne.
Das Restaurant ist bis unter die Decke angefüllt mit Geräuschen. Von Zeit zu Zeit schnappe ich einen Satzfetzen auf, doch sobald woanders lauter gesprochen wird, nimmt mich dieses neue Gespräch gefangen, und so schlingere ich von einer Unterhaltung zur nächsten. Ich würde gern mitreden. Eine Meinung haben. Zu irgendetwas. Was wäre ein geeignetes Thema für einen Abend wie diesen? Über die Liebe weiß ich einiges – Liebe ist schließlich zeitlos. Vielleicht könnte ich erzählen, wie ich Nana kennengelernt habe, aber dazu müsste ich bei meiner Ankunft in Brasilien anfangen.
Ich sehe den Kellner näher kommen, er bringt mir mein Essen. Stolzer Gang. Der Mann scheint mir ein geeigneter Zuhörer zu sein. Eine lange Seereise geht zu Ende, ein junger Mann geht von Bord. Sein Gesicht ist braun gebrannt, seine Brust breit. Selbstbewusst, frohen Mutes geht er wie ein dunkelhaariger Wikinger an Land.
»Einmal die Fischkroketten.«
»Wissen Sie, wie Salvador auch genannt wird, Meneer?«
»Wie bitte?«
»The Capital of Happiness.«
»Ihr Saft kommt gleich.«
»Sie haben viel zu tun.«
»Ein Irrenhaus. Guten Appetit.«
The Capital of Happiness, ja, aber Gott weiß, wie einsam ich da war. Ich brauchte ein paar Tage, um zu begreifen, dass ich nicht nur meinen Feinden, sondern auch meinen Freunden entkommen war. Hier würde mich niemand finden können. Die Flasche Rum, mit der ich meine Freiheit hatte begießen wollen, leerte ich in einer einzigen schlaflosen Nacht bis zur Neige. Am Kai, wo die Serpa Pinto gleichgültig auf Passagiere nach Europa wartete, sank ich am nächsten Morgen auf die Knie und erbrach alles wieder. Dann stand ich langsam auf.
An Bord, zur Untätigkeit verdammt, hatte ich beschlossen, auf direktem Wege nach Minas Gerais aufzubrechen, um dort meine Diamanten zu finden. Auf See hatte ich sie schon in meinen Händen funkeln sehen. Jetzt sah ich nur noch eine schmutzige Stadt am Rand eines unendlich großen, unbekannten Erdteils.
Ich hörte jemanden schreien. Ein Straßenköter rannte jaulend an mir vorbei. Der Stein, der ihm hinterherflog, schien uns beiden zu gelten. Ich folgte dem Tier, weg von der Stelle, wo ich fast die Selbstbeherrschung verloren hätte.
Nicht denken jetzt, nicht mehr denken.
Ich wankte durch die Straßen, stieß auf eine Werkstatt und kaufte für dreihundert Gulden – keine Ahnung, wie viele cruzeiro das waren – eine Indian Sport Scout mit Beiwagen, den der Vorbesitzer angeschweißt hatte. Der Verkäufer schenkte mir noch eine volle Tankladung und eine Landkarte dazu, und so fuhr ich, keine Stunde, nachdem ich mich um ein Haar wiedernach Holland eingeschifft hätte, in Richtung Vitória da Conquista. Die Straßen waren schlecht, ich wurde durchgerüttelt, der Staub verstopfte mir die Nase und die Sonne brannte mir ein Loch in den Schädel, doch mit jedem Meter spürte ich, wie meine Stimmung sich aufhellte. Nach ein paar Stunden Fahrt war nichts mehr von meinem Einsamkeitsgefühl übrig, und spontan schrie ich laut heraus. Ich war
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