Der Blaumilchkanal
drückte auf den Klingelknopf. Der Nachklang des hübschen Glockentons begleitete den Ehrengast und seine Gemahlin auf dem Weg zu ihren Sitzen durch die respektvoll zurückweichende Menge. Frau Hassidoff sah tadellos aus, und ihr Kleid, aus einem einzigen Stück Tupfenstoff geschnitten (Bluse und Rock in einem) löste Wogen der Bewunderung mit einer Spur von Neid aus. Die Heldenfrau war tief gerührt, und als sie sich neben den Zeremonienmeister setzte, flüsterte sie mit Tränen in der Stimme ihrem Gatten ins Ohr:
»Salman, Salman, daß wir das noch erleben durften!«
Elifas erhob sich wieder und drückte neuerlich auf die wunderbare Glocke, und siehe, die Menge verstummte von einem Ende bis zum anderen.
»Geliebte Versammelte, Mitglieder des Provisorischen Dorfrats, Ehrengast und Gemahlin!« eröffnete der Wirt seine Rede heftig schielend. »Wir haben uns an diesem Samstagabend hier auf dem Boden des Kulturzentrums versammelt, um unseren Bürgermeister de facto zu begrüßen, einen der besten Rasierer der Stadt, Ingenieur Salman Hassidoff.«
Wieder drückte der Wirt auf die Glocke, und die Zuhörer brachen in Applaus aus. Amitz Dulnikker, der schweigend und unbemerkt mitten in dem Gedränge stand, starrte seinen Nachbarn höchst verblüfft an. Warum jubelten sie diesem unbedeutenden Menschen zu, den jeder verachtete? Wußten sie denn nicht, daß der Barbier und seine Frau dieses ganze Picknick mit allen Zutaten auf Kosten eben dieser Menge organisiert hatten? Der Staatsmann staunte auch über den glatten Vortrag des Wirts: Er konnte seinen Ohren kaum trauen. War das derselbe halbidiotische Dicke, der seinerzeit keinen ganzen Satz hervorzubringen vermochte?
»Wer immer Salman Hassidoff halbwegs kennt, weiß, daß er solche Feiern zu seinen Ehren nicht mag«, setzte der Wirt seine Laudatio fort und wandte sich an den Bürgermeister, der zustimmend nickte, während sein Gesicht den Glanz der Genugtuung widerstrahlte, »aber ich muß von hier oben sagen, daß wir ursprünglich, vor zwanzig Jahren, als Ingenieur Hassidoff sein Friseurgeschäft in Kimmelquell gründete, nicht erwartet hätten, daß es sich zu einer so wichtigen öffentlichen Einrichtung entwickeln würde. Vor zwanzig Jahren ein Geschäft in Kimmelquell zu eröffnen, war ein sehr gewagtes Unternehmen. Ich erinnere mich, als ich meinen Gasthof eröffnete, daß viele Leute zu meiner Frau sagten: >Malka, Malka, dein Mann macht eine Dummheit.< Aber meine tapfere Frau sagte ihnen unverzagt: >Verlaßt euch auf Elifas
Hermanowitsch. Er hat viele große Schwierigkeiten bewältigt, und er wird schon wissen, was er jetzt tut!< Natürlich unnötig zu sagen, daß wir zuerst schwere Zeiten durchmachten. Kaum ein Gast kam in die Schankstube. Die Leute sagten, wozu brauchen wir einen Gasthof? Wir haben bis heute ohne einen gelebt, und wir werden auch in Zukunft ohne einen leben. Dennoch mußte ich täglich Mahlzeiten zubereiten, denn sollte doch zufällig ein Gast kommen, dann hatte ich ihm nicht sagen können, >Verzeihung, mein Herr, ich habe keine Gäste erwartete Wenn ihr nur wüßtet! In jener Zeit hatte mein Haus noch keinen zweiten Stock, daher war die Küche praktisch im Speisezimmer, und wir konnten keine weißen Tischtücher auflegen, wegen des Rauchs aus dem Herd ...«
Der Wirt brauchte nicht ganz fünfviertel Stunden, um unter häufigem Glockenläuten zu der gegenwärtigen Lage zu kommen, da er nunmehr mit Leichtigkeit Mahlzeiten für 120 Erwachsene zu vernünftigen Preisen liefern konnte, die gekochtes Fleisch und Nudeln beinhalten, wenn er rechtzeitig von der Anzahl der Gäste verständigt wurde, etwas, worum er jeden sehr bäte, genau einzuhalten, weil sie im allgemeinen immer in der letzten Minute zu ihm kämen. In diesem späteren Stadium der Festlichkeiten saßen der Barbier und seine Frau mit grünen Gesichtern auf ihren Ehrenplätzen und trommelten Märsche mit den Fingern auf dem Tisch. Frau Hassidoff erhob sich gelegentlich halb von ihrem Stuhl, als hätte sie gern den Wirt tätlich angegriffen. Zevs Stirn ruhte auf seinen Unterarmen, und er hielt sich ein Taschentuch vor den Mund, während es seinen Kopf seltsam schüttelte. Aber die Menge beachtete diese kleineren Störungen nicht und hörte begeistert der Jungfernrede des Wirts zu. Ja, mehr noch, sowie der Wirt seinen Vortrag mit folgenden herzlichen Worten beendet hatte: >Daher wollte ich Ihnen nur sagen - möge der Herr unseren Ehrengast Ingenieur Hassidoff und dessen Gattin
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