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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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schneidender Verachtung. »In deinem Alter war ich froh, wenn ich mir eine Gurke zum Nachtmahl kaufen konnte. Aber Kinokarten? Vor 30 Jahren hat kein Mensch daran gedacht, ins Kino zu gehen. Damals sind hier noch die Lastkamele vorbeigezogen, und von den Boulevards konnte man aufs offene Meer hinaussehen.«
    »Interessant«, sagte ich. »Aber jetzt muß ich nach Hause.«
    »Nach Hause?« Er nickte bitter. »Wir hatten kein Zuhause. Wir schichteten ein paar Schachteln und Konservenbüchsen übereinander, verklebten das Ganze mit Packpapier, und das war unser Zuhause. Hast du Möbel?«
    »Nicht der Rede wert.« Ich wurde vorsichtig. »Meistens sitzen wir auf Ziegelsteinen.« »Ziegelsteinen? Von Ziegelsteinen wagten wir nicht einmal zu träumen. Woher hätten wir das Geld für Ziegelsteine nehmen sollen?«
    »Ich weiß es nicht«, gestand ich kleinlaut. »Um die Wahrheit zu sagen, ich habe die Ziegelsteine nicht gekauft, sondern von einem unbewachten Bauplatz gestohlen.« »Gestohlen?« Die Stimme des alten Herrn bebte vor Zorn. »Ich habe 18 Jahre lang hier gelebt, ehe ich es wagte, meinen ersten Ziegelstein zu stehlen. Wir hatten damals nicht einmal Sand, um darauf zu liegen. Habt ihr einen Fahrstuhl zu Hause?«
    »Sehr selten. Vielleicht einmal in der Woche.«
    »Einmal in der Woche?« Der Alte packte mich an den Schultern und schüttelte mich, als ob er mich mixen wollte. »Bist du dir klar darüber, Mojshele, daß wir nicht einmal Treppen hatten.«
    »Ich heiße nicht Mojshele«, warf ich ein. »Und überhaupt, ich kenne Sie nicht, mein Herr.« »Du kennst mich nicht?« brüllte mein Gesprächspartner. »Wenn wir in deinem Alter die Frechheit gehabt hätten, jemanden nicht zu kennen, hätte man uns windelweich geprügelt. Aber ihr jungen Grünschnäbel von heute könnt euch natürlich alles erlauben.«
    Damit ließ er mich stehen und ging zornig zu seinem Packpapier nach Hause. Ich war niedergeschmettert. Der Boden schwankte unter meinen Füßen, und ein Taxi überfuhr mich. Früher einmal mußten die Pioniere bestimmt 18 bis 20 Jahre warten, bevor sie zum erstenmal von einem Taxi überfahren wurden. Die Zeiten haben sich geändert.

    Jesaja schimpfte mehr als jeder andere Prophet mit seinem Volk, aber das Buch Hiob hat er bestimmt nicht gelesen.
    »Weh denen, welche die Bösen gut und die Guten böse nennen«, verkündete Jesaja, »die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen.« Nun bei aller Ehrerbietung, genau das tat der Herr mit dem unglückseligen Hiob, um Satan vorzuführen wie sehr Er, der Allmächtige, da unten auf Erden verehrt wird.
    Wie bekannt, hat Gott gegen Satan gewonnen, aber Hiob wurde im Laufe dieser Wette der Garaus gemacht, mit Methoden, die gut ausgebildeten Antiterroreinhei-ten zur Ehre gereicht hätten. Nach jedem Schicksalsschlag flehte der Mann, dessen einziger Makel zu sein schien, daß er ohne Fehl und Tadel war, um eine Antwort auf seine Frage »Was, um Gottes willen, habe ich getan?« Er erhielt jedoch keine, weil dann Satan die Wette gewonnen hätte.
    *
    Als ich Hiobs Saga las, überkam mich das gleiche Gefühl wie einst im Kasperletheater, wo ich als kleiner Junge Hansel und Gretel »Paßt auf, die Hexe lügt!« zurief. Genauso wollte ich den Mann im Lande Uz ermuntern, sich nicht widerstandslos zu ergeben. »Es ist doch alles nur Theater, du Tölpel«, wollte ich ihm zurufen, »Satan wird ja schließlich doch den kürzeren ziehen, und dich wird der Herr nach Ende der Vorstellung mit einer Fülle von Geschenken entschädigen.«
    Sei es, wie es will, Hiobs Horrorstory inspirierte mich zu meiner eigenen Fassung. Der Held meiner Version leidet nicht weniger als der originale Hiob, allerdings fehlt bei mir das HappyEnd. Aber ich weise nach, was im Neunten Gebot bedauerlicherweise fehlt, daß man nämlich nicht nur des Nächsten Haus, sondern auch seinen Parkplatz begehren kann.

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WETTEN, DASS ODER EINE SATANISCHE AFFÄRE
    In der Stadt Jerusalem lebte ein Mann, der hieß Hiob Grodetzky. Er war ein rechtschaffener Mann, befolgte das Gesetz und tat kein Übel, und mit der Zeit wurden ihm sieben Söhne geboren.
    Es betrieb aber dieser Mann Hiob einen Lieferwagen, und betrieb ihn sonder Fehl und Tadel, und lenkte ihn tugendhaft, und achtete darauf, niemals eine Geschwindigkeitsgrenze zu überschreiten, nicht in der Stadt noch auf den Überlandstraßen, und fuhr kreuz und quer durch das Land, und hinauf und hinab, und immer auf der rechten Bahn, und

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