Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
interessierte mich, den offiziellen Standpunkt zu unserem offenbar unvermeidlichen Kulturkampf kennenzulernen.
    ICH: Darf ich Sie, Herr, um Ihre Stellungnahme zur Forklewitsch-Zalman-Affäre bitten.
    DER HERR: Ich bin da leider nicht ganz auf dem laufenden, da Mich in der letzten Zeit ein völlig anderes Problem beschäftigt. Die Schwerkraft im Weltraum nimmt nämlich ab, das Universum beginnt sich auszudehnen, und es besteht die Gefahr, daß es mit der sphärischen Unendlichkeit über kurz oder lang vorbei sein wird. Dann stehe Ich da und kann von vorne anfangen. Wie weit seid ihr, Ich meine die Erde, von der Sonne entfernt?
    ICH: In jüdischen oder arabischen Ziffern?
    DER HERR: Natürlich arabisch, wie sonst.
    ICH: 153 000 000 km.
    DER HERR: Dann werdet ihr also in ungefähr einer Billion Jahre mehr als 200 Millionen Kilometer von der gönne entfernt sein. Wer weiß, was dann passiert.
    ICH: Als der Hausdiener des Orthodoxenviertels von Jerusalem vom unqualifizierten Benehmen des Bankiers porklewitsch gehört hatte, spuckte er zweimal aus.
    DER HERR: Da die erwähnten Millionen von Sonnensystemen Mir etwas zu schaffen machten, kann Ich Mich nicht ausschließlich auf den ehrwürdigen Hausdiener konzentrieren. Ich stellte mit Vergnügen fest, daß der HERR sich als höflicher, gebildeter, ja geradezu brillanter Gesprächspartner erwies. Er ist, wie man weiß, weltberühmt für die Erschaffung der Welt und hat der Erde ungefähr 3000 Jahre vor der Geburt seines Sohnes ihre heutige Gestalt gegeben, einschließlich Bevölkerung, in insgesamt sechs Tagen. Das Gespräch wurde in Alltags-Hebräisch geführt, mit einigen ungarischen Brocken dazwischen.
    ICH: Ich nehme an, Herr, daß Sie mehr als irgend jemand anderer auf die strikte Befolgung Ihrer Gebote Wert legen. Sind Sie religiös?
    DER HERR (nach einigem Zögern): Nein. Ursprünglich stand Ich auf Seiten der Orthodoxen, aber jetzt gehen sie Mir auf die Nerven, (scharf) Euch dort unten ist jeder Vorwand recht, um. eure politischen oder persönlichen Ziele zu verfolgen. Ihr denkt an alles, nur nicht an Mich. Überhaupt befinde Ich Mich in einer unmöglichen Situation. Ihr schreibt Mir die Erschaffung des Kosmos zu, Ich bin für euch ein überirdisches Wesen, dessen Werke das menschliche Fassungsvermögen weit übersteigen. Und trotzdem behandelt ihr Mich wie einen Schmierenschauspieler, dem der Applaus über alles geht. Jeden Morgen muß Ich Mir die gleichen unterwürfigen Lobeshymnen anhören (er zitiert aus einem aufgeschlagenen Gebetbuch): »Herrscher der Welt, unser Vater, König der Könige, dem nichts verborgen bleibt, wir preisen Dich in Ehrfurcht, Allmächtiger, der Du entscheidest über Leben und Tod und dessen Augen alles sehen.« Und so weiter und so fort.
    ICH: Herr, sie preisen Sie aus Liebe.
    DER HERR: Sie schmeicheln Mir, das ist alles. Und sie beleidigen Meine Intelligenz. Als ob der Schöpfer der Welt auf solche Lobhudelei angewiesen wäre. Sie würden es niemals wagen, den Computer Ihrer Stadtverwaltung mit so etwas zu füttern. Glauben Sie mir, lieber Freund, es ist höchste Zeit, die Dinge ein wenig lässiger zu behandeln. Alle Ehre Meinem Diener Moses, aber es ist absolut nicht nötig, jeden einzelnen Buchstaben der von uns erlassenen Gesetze genau so einzuhalten, wie sie auf dem Berg Sinai festgeschrieben wurden. Ein paar kleine Kürzungen und Änderungen werden niemandem weh tun.
    ICH: Es ist Tradition, Herr. Ihre Tradition.
    DER HERR: Reden Sie sich doch nicht immer auf Mich aus, wenn Ich bitten darf. In einer Zeit, in der die Menschen in meinem All herumfliegen, verlangen Sie, daß am Sabbat nicht gefahren werden dürfe. Oder nehmen Sie Ihre Hochzeits Zeremonie. Die wird noch immer auf aramäisch abgehalten, in einer Sprache, die nicht einmal Ich verstehe. Was soll das alles? Ich habe nichts gegen die Orthodoxen, solange sie Mich nicht zwingen, ebenso zu denken wie sie. ICH: Das klingt beinahe, Herr, als ob Sie ein Ungläubiger geworden wären.
    DER HERR (energisch): Bin Ich nicht! Bestimmt nicht. Bitte machen Sie das Ihren Lesern unbedingt klar. Ich bin nur gegen Fanatiker. Sie sollen Mir doch nicht länger unterstellen, daß Ich nach wie vor die strikte Einhaltung aller Zehn Gebote und 613 Verbote erwarte, als wäre in der Zwischenzeit nichts passiert. Damit mache Ich Mich ja in den Augen jedes denkenden Menschen
    einfach lächerlich. Versuchen Sie die Dinge doch einmal von Meinem Standpunkt aus zu sehen, um Gottes willen.
    ICH: Dann gehören

Weitere Kostenlose Bücher