Der Blaumilchkanal
Sie also der Reformbewegung an?
DER HERR (vorsichtig): Ich möchte Mich nicht festlegen. Sagen wir, daß Ich mit den Reformern sympathisiere. Hauptsache bleibt, daß Ich Jude bin.
ICH: Mit allem Respekt, Herr, wie wollen Sie das beweisen?
DER HERR: Da haben Sie recht. Es gibt keine gesetzliche Definition des Judentums. Ich bin Jude, weil Ich Jude bin, Punktum. (Mit wärmerer Stimme) Ich liebe euch alle. Ich bin guten Willens. Aber auch ihr müßt Konzessionen machen. Treibt keinen Keil zwischen Mich und Meine Religion. Gebt Mir die Möglichkeit, Mein Amt. auch für kommende Generationen zu versehen.
ICH: Herr, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Darf ich meinen Lesern sagen, daß Sie uns noch immer für das auserwählte Volk halten?
DER HERR: Gewiß. Ich mag euch mehr als alle anderen Völker.
ICH: Warum?
DER HERR: Ihr seid so komisch.
Da der Herr die Frage »Wer ist Jude« schon einmal aufgeworfen hat, wage ich es, auch persönlich dazu Stellung zu nehmen. Der Allmächtige konnte kraft seines Amtes feststellen »Ich bin Jude, weil Ich Jude bin« und Moses ausweichende Antworten geben. Die Beamten in unserem Innenministerium haben es da schon weitaus schwerer.
Nach unseren Religionsgesetzen ist jeder ein Jude, der eine jüdische Manie hat, auch wenn die Herkunft des Vaters unbekannt ist. Fragt sich, wer ist dann eine jüdische Marne? Eine jüdische Marne ist jede, die wiederum ihrerseits eine jüdische Marne hat. Aber nur wenn die Marne der Marne auch eine Marne war...
Aus Zeitmangel wollen wir es damit bewenden lassen. Nichtjuden haben es da leicht, sie wissen immer, wer ein Jude ist. Wahrscheinlich haben Sie dafür einen angeborenen sechsten Sinn oder etwas Ähnliches.
Einmal in jener Zeit, als ich mich als Arier verkleiden mußte und im Restaurant von einem Henker in schwarzer Uniform als Jude beschimpft wurde, entgegnete ich: »Sind Sie blind? Bin ich denn nicht blond und stupsnasig?«, aber ich konnte seine Wachsamkeit nicht täuschen. »Du bist ein Jude«, erklärte mir der Nazi. »Du ißt die Krautwickel mit Zucker.«
Da haben wir es.
Unsere Juristen sollten in die Verfassung aufnehmen, daß ein jeder Jude ist, der Zucker auf seine Krautwickel streut.
Das Seltsame an der Sache ist, daß wir zwar mit unserer jüdischen Identität Schwierigkeiten haben, sie jedoch wie einen Schatz hüten. Wir sind das auserwählte Volk, ganz egal wofür. In jedem Fall aber sind wir anders.
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WARUM UND WIE WIR SILVESTER NICHT FEIERN
Heute ist nach jüdischer Zeitrechnung der 24. des Monats Tevet, ein Tag wie jeder andere. Auf dem gregorianischen Kalender ist er allerdings als 31. Dezember verzeichnet oder auch als »Silvester«. An diesem Tag feiern die Nichtjuden die Jahreswende, und zwar mit diversen Partys, Bällen, Strömen von Alkohol und einer Mordsgaudi. So etwas kennt man bei uns überhaupt nicht, da wir keinen gregorianischen Kalender haben und in Israel das Steuerjahr erst am 31. März mit der Einreichung der Steuererklärung endet. Nichts liegt uns ferner, als fremde Sitten und Gebräuche gedankenlos zu übernehmen, ohne geistigen und kulturellen Hintergrund, und so wollen wir von dieser befremdlichen Sitte des Silvesterfeierns auch gar nichts wissen.
Das soll natürlich nicht heißen, daß wir an diesem Tag nicht auch Freunde oder Bekannte besuchen könnten. Sollen wir womöglich wegen einer gregorianischen Angelegenheit unsere täglichen Gebräuche ändern? Wir achten allerdings streng darauf, daß diese Besuche im üblichen Rahmen bleiben und nicht womöglich in Freßorgien oder Gelage ausarten. Wir begnügen uns damit, den Gästen ein paar Kanapees und Petits fours anzubieten, und Freunden eines guten Tropfens sollte dieses bescheidene Vergnügen auch nicht genommen werden. Und warum die gute Laune der geselligen Runde künstlich schmälern, nur weil am gleichen Tag auch dieses Silvester, oder wie man es nennt, stattfindet. Einfach lächerlich. Wir lassen uns von den Nichtjüdischen, im Volksmund Gojim genannt, doch nicht vorschreiben, wann und wie wir ausflippen. Und wenn wir gerade an
diesem Abend ein paar Gläschen über den Durst trinken, dann trinken wir eben gerade an diesem Abend ein paar Gläschen über den Durst. Sollte uns zufällig danach sein, an diesem Abend nicht ins Bett zu gehen, dann gehen wir halt nicht ins Bett, sondern singen und tanzen und machen durch bis zum frühen Morgen, lassen Raketen steigen, machen um Mitternacht das Licht aus und
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