Der Blaumilchkanal
aufnahm.
Plötzlich trat eine positive Wende ein. Die Rathauskoalition ging in die Brüche, am nächsten Tag kam Rabbi Zalman in Untersuchungshaft, und ein Verfahren wurde gegen ihn eingeleitet.
Die Anklage lautete auf bewaffneten Raub, Störung der öffentlichen Ordnung und Steuerhinterziehung, Delikte, die für insgesamt 25 Jahre gut waren. Trotz einiger Kreuzverhöre behauptete Rabbi Zalman nicht zu wissen, wo sich das Geld befände, möglicherweise sei es ins Ausland geschafft worden. Ein Nummernverzeichnis der Banknoten ging sofort an Interpol.
Der Zorn der Bevölkerung richtete sich gegen Theodor Forklewitsch, weil er seinen eigenen Schwager hinter Gitter gebracht hatte, und legte sich erst, als der Rabbi entlassen wurde. Denn, wie es im Talmud heißt, niemand kann Zeugnis ablegen wider sein eigen Fleisch und Blut, einschließlich des angeheirateten. Der Entlassene vollführte mit seinen Anhängern einen chassi-dischen Freudentanz, der zugleich das Wiedererstehen der Rathauskoalition feierte.
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Obwohl Rabbi Zalman für den Mann auf der Straße bereits zum Symbol des Widerstandes gegen die Kräfte der Unterdrückung geworden war, wurde der Fall nicht abgeschlossen. Forklewitsch wurde von sämtlichen Familienmitgliedern bedrängt, die Klage zurückzuziehen. Sie beriefen sich dabei auf Samuel 24, 14: »Nach wem zielest du? Nach einem toten Hund? Nach einem Floh? Nach dreieinhalb Jahren?«
»Aber man hat mir 430000 Schekel gestohlen«, beharrte Forklewitsch, der unbelehrbare Fanatiker.
Endlich überredete man ihn, ein Schiedsgericht aus drei neutralen Rabbinern zu akzeptieren. Die Rabbiner berieten sechs Monate lang, prüften alle Aspekte der einschlägigen Stellen aus Bibel und Talmud samt Kommentaren und Exegesen und kamen zu dem überraschenden Schluß, daß die gestohlene Summe innerhalb von 18 Monaten zurückgezahlt werden müsse. Der Schiedsspruch unterstellte, daß das Geld nicht gestohlen, sondern eigentlich geliehen worden sei und daß in Übereinstimmung mit der allgemein gültigen Auslegung des betreffenden Verses in den Sprüchen der Väter »der Schuldner sich in den Dienst des Verleihers begibt«. Daher gelte Rabbi Zalman, wenn er das Geld nicht gestohlen, sondern nur geliehen habe, als Schuldner und somit als Diener des Verleihers und Rabbi Theodor als sein Herr. Da der Diener dem Herrn Gehorsam schuldet und das Buch Leviticus deutlich vorschreibt: »Du sollst nicht eine jede Beere deines Weinbergs auflesen«, folgt weiter, daß jeder Pfennig der 430000 Schekel vom Diener an den Herrn zurückzugeben ist, also das Oberrabbinat, das nach eigenem Gutdünken über's Geld verfügen wird. pa jedoch andererseits Theodor Forklewitsch nach all dem Unrecht, das er seinen Mitmenschen zugefügt hat, nicht ungestraft bleiben kann, soll er einen heiligen Eid ablegen, daß er »nie wieder Geld gegen Zinsen verleihen, noch am Sabbat rauchen, noch vom unreinen Getier essen wird, das da kreucht und fleucht, nicht vom Wiesel, nicht von der Maus und nicht von der Schildkröte«. Der Seufzer der Erleichterung, der daraufhin durchs Land ging, erwies sich jedoch als voreilig. Nach Ablauf der 18 Monate stellte sich heraus, daß das Geld nicht mehr vorhanden war. Rabbi Zalman beteuerte seine Absicht, es zurückzuzahlen, erklärte sich jedoch machtlos.
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Einige Tage später brach im Rathaus eine neue Koalitionskrise aus. Die Polizei tat ihre Pflicht und verhaftete Rabbi Zalman, einen ehemaligen Minister und zwei Talmudstudenten. Auf alle vier warten schwere Strafen, vor denen nichts sie retten kann, es sei denn, daß sich eine neue Wende in der Koalitionspolitik ergibt, wie es geschrieben steht im Buch der Prediger: »Und es wandelten sich die Dinge aufs neue« oder so ähnlich.
Wie wir soeben erfahren haben, muß man nur Bibelexperte sein, um auch in finanziellen Angelegenheiten auf jedes Argument ein authentisches Zitat aus Gottes Mund parat zu haben. Da ich kein großer Bibelexperte bin, blieb mir nichts anderes übrig, als mich direkt an die Quelle zu wenden und ein Interview mit Ihm zu führen über die Rechte und Pflichten Seiner Getreuen. Das Interview war exklusiv, wurde Wort für Wort in der Zeitung abgedruckt und trug mir den ersten scharfen Verweis des Oberrabbinats ein.
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EIN BRILLANTER GESPRÄCHSPARTNER ODER WENN DER HAUSDIENER ZWEIMAL SPUCKT
Es war mir von Anfang an klar, daß es in Anbetracht des delikaten Themas kein leichtes Interview werden würde. Aber es
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