Der Blaumilchkanal
Gedränge zu tauschen. Inzwischen aber hatten die Hetzreden des Alten den ganzen BUS gegen mich empört. Plötzlich packte er mich am Kragen, riß mich hoch und setzte sich unter dem Jubel der Menge auf meinen Platz. Das war der Augenblick, ihm und dem aufgehetzten Pöbel eine Lektion zu erteilen. Ich schwankte, hielt mich nur mühsam aufrecht und bahnte nur stöhnend den Weg zum Ausgang, wobei ich mit schmerzverzerrtem Gesicht das rechte Bein nachzog.
Über den Bus senkte sich verlegenes Schweigen, dem beschämtes Geflüster folgte.
>Der arme Kerl<, hörte ich. >Ist gelähmt, hat ein krankes Bein, kann sich kaum bewegen, und dieser alte Trottel verjagt ihn von seinem Sitz. Ein Egoist! Ein Unmensch! Pfui!<
Beinahe wären sie über ihn hergefallen. Einige standen auf, um mir ihren Sitz anzubieten. Ich winkte mit müder Märtyrergeste ab. Und da ich sowieso am Ziel war, bereitete ich mich unter neuerlichem Stöhnen zum Aussteigen vor.«
»Gut gemacht«, ich nickte anerkennend. »Und dann?«
»Dann«, sagte Jossele, »bin ich auf dem Trittbrett ausgerutscht und hab' mir ein Bein gebrochen.«
Damit wandte er sich wieder seinem Gebetbuch zu.
Der Herr hat also doch Humor, zumindest hin und wieder.
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Die Einhaltung des Dritten Gebotes stellt viel höhere Anforderungen an den Gläubigen, als es auf den ersten Blick aussieht. Auf der Gesetzestafel war zwar zunächst nur von einem »Sabbat« die Rede, aber danach wurde eine ganze Serie von Feiertagen dazuerfunden, um den heimischen Tourismus in Schwung zu bringen. Bereits in biblischen Zeiten war es üblich, und Moses ließ daran niemals einen Zweifel, daß jeder, der am Sabbat Holz hackt, standrechtlich zu steinigen sei. Steinigungen sind bei uns bis heute recht beliebt, aber nicht immer lebensgefährlich, wenn man ein guter Läufer ist. Ich spreche hier keineswegs von den steinewerfenden Kindern der Intifada, sondern lediglich von unseren orthodoxen Sabbatwächtern. Man darf ihnen aber ihren Eifer nicht übelnehmen. Die außerordentliche Bedeutung des Ruhetages hat der Herr im Buch Deuteron-omium, im Volksmund fünftes Buch Moses genannt, betont: »Du sollst keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh.« Dieses Verbot gilt offenbar nicht für Ehefrauen, aber vielleicht sind sie Moses einfach nicht eingefallen. Immerhin war er 40 Tage auf dem Berg gewesen, ohne zu essen und zu trinken ...
*
Aber Gebot ist Gebot. Die Orthodoxen müssen bei Sabbatbeginn in höchster Alarmbereitschaft sein, denn am Sabbat darf nicht gegangen und nicht gefahren werden man darf nicht fernsehen, nicht einmal einen Lichtschalter betätigen. Ob man will oder nicht, man muß ruhen, ruhen und ruhen.
Vor einiger Zeit erkundigte ich mich bei einem befreundeten Rabbiner, ob er denn ernsthaft der Meinung sei, Moses habe beim Abfassen der Sabbatgesetze auch an die Betätigung der Lichtschalter gedacht. Die Antwort des Rabbiners schien mir überzeugend: »Das spielt keine Rolle«, argumentierte er, »unsere Religion kennt keine Kompromisse. Entweder werden alle Gesetze widerspruchslos eingehalten, oder es wird eines Tages gar kein Gesetz mehr befolgt.« Die Bewohner des Mea-Schaarim-Viertels von Jerusalem, die den jüdischen Staat nicht anerkennen, weil er nicht vom Messias ausgerufen wurde, suchen schon lange nach Lösungen, wie man den Ruhetag ohne Probleme einhalten könne. Ein Tierpfleger aus dem Tel Aviver Zoo erzählte, daß jene Leute ihn gefragt hätten, ob man nicht einen Affen dressieren könne, am Sabbat einen Elektroschalter zu betätigen. Zwar erlaubten die Rabbiner die Affenlösung, allerdings nur unter der Bedingung, daß der Affe aus eigener Initiative handle. Der Tierpfleger veranschlagte für die Dressur rund sechs Jahre. Daraufhin wurde die Angelegenheit vertagt.
Auch die Überlegung, die Fotos mit dem Affen am Lichtschalter zu einer Pressesensation zu machen, scheiterte. Dafür hätte nämlich ein zweiter Affe dressiert werden müssen, da schließlich auch fotografieren am Sabbat verboten ist.
Da mein biblisches Alter mich vermutlich daran hindert, eine zufriedenstellende Lösung des Problems zu erleben, wende ich mich den restlichen jüdischen Feier-> nack A enen man erst richtig Erholung braucht.
Ich bin mit dieser Ansicht nicht allein. »Ein Feiertag jage den anderen«, sagten unsere urlaubsreifen Weisen irgendwann gegen Ende September und gaben der konzentrierten
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