Der Blaumilchkanal
und erfolgreiche neue Jahre gestattet wären. Zuwiderhandelnde hätten mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Wochen und einer Geldstrafe von 1000 Schekel zu rechnen. Keiner scherte sich darum. Bereits eine Woche vor den Feiertagen fielen im Norden des Landes 40 Briefträger aus, drei davon landeten mit komplizierten Leistenbrüchen im Krankenhaus, der Rest kam in häusliche Pflege. Einer murmelt seither ununterbrochen: »Glück und Erfolg, Erfolg und Glück.«
Stichproben ergaben, daß die Mehrheit das Gesetz durch geschlossene Umschläge umging, denn der Portoaufschlag zur Drucksache ist immer noch erträglicher als auf ein glückliches neues Jahr zu verzichten. Das hatte noch eine weitere Schwächung der nationalen Arbeitskraft zur Folge, denn durch die Briefform konnte das »glückliche und erfolgreiche« neue Jahr zu einem »gesunden und besinnlichen« erweitert werden.
In dieser kritischen Phase formierte sich die Postgewerkschaft gegen die Glückwunschflut. Eine Bürgerinitiative berief sich hingegen auf die Menschenrechte und reichte eine Petition bei der UN ein, während die Gewerkschaft zu härteren Maßnahmen griff: »Zweiwöchiger Stopp für Briefmarkenverkauf!« lautete die Parole.
Danach erließen die Behörden eine Einstweilige Versteung gegen glückliche und erfolgreiche neue Jahre und erhöhten die Freiheitsstrafen auf 24 Monate in Einzelhaft. Ein Kontrollkommando erhielt die Aufgabe, jeden verdächtigen Brief zu Öffnen. Die Gefängnisse waren überfülltUnter den Festgenommenen war auch ein Versicherungsagent, der im Alleingang 2600 Wünsche für ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr mit »raschem Anschluß an den europäischen Binnenmarkt« abgeschickt hatte. Sein Anwalt argumentierte im Schlußplädoyer, sein Klient habe lediglich »einen politischen Aufruf« versandt.
Das hatte eine Gesetzesnovelle zur Folge, die Glück und Erfolg in Zusammenhang mit politischen Aktivitäten untersagte.
Natürlich motivierte das den angeborenen jüdischen Pioniergeist nur noch stärker.
Einer der originellsten, weil auch preiswertesten Versuche war der eines älteren Schriftstellers. Er versandte 520 Telegramme zum Geburtstag mit Wünschen von Frau Sara Glück und Herrn Ephraim Erfolg. Kurz darauf wurde auch eine Reklamebroschüre der »Firma G. u. E., landwirtschaftliche Geräte GmbH« beschlagnahmt, die durch eine beigefügte Fußnote Verdacht erregt hatte: »Sehr warm und trocken aufzubewahren.« Im Polizeilabor fand die mysteriöse Sache ihre Aufklärung. Bei Erwärmung der Broschüre durch eine Feuer-zeugflamnie wurde nämlich die kleingedruckte Schrift sichtbar: »Ein gesegnetes neues Jahr der Arbeiterklasse und drastische Steuersenkungen wünschen Mirjam und Elchanan Gross, Tel Aviv.« Das raffinierte Betrügerehepaar wurde unverzüglich in Haft genommen.
Die Regierung versiegelte daraufhin alle Briefkästen und stellte die Grenzpolizei zur Bewachung auf. Auf dem
Postamt mußte jeder Bürger seinen Personalausweis vorlegen sowie eine eidesstattliche Erklärung abgeben, daß seine Postsendung nicht im entferntesten etwas mit Glückwünschen zu tun habe. Die Bevölkerung murrte.
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»Der Versand von Glückwünschen hat um 19 Prozent zugenommen«, gab der Postminister anläßlich seines Rücktritts bekannt, »das kostet immerhin ein sattes Drittel des Bruttosozialproduktes.«
In Norden Tel Avivs stürmte ein maskierter Scharfschütze das Postamt und zwang den Schalterbeamten zum Versand von 2200 »gesegneten und friedvollen neuen Jahren im vereinten Jerusalem«. Er wurde auf der Flucht gefaßt. Er erhielt lebenslänglich auf Bewährung, aber es gelang ihm sogar, durch die Gitter hindurch 161 Glück- und Erfolgswunsche zu schmuggeln.
Es gehen Gerüchte um, die Regierung plane die gesetzliche Abschaffung des neuen Jahres. In den Straßen sind die ersten Panzer aufgefahren. Die Situation spitzt sich zu. In den Außenbezirken sind sporadisch Schüsse zu hören. Ein Bürgerkrieg ist nicht mehr auszuschließen.
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EINE FAST UNGEBROCHENE ZUNEIGUNG
Ich brauche den Staat nicht dazu, mir den Versand von Glückwunschkarten abzugewöhnen. Ich habe mein ganz persönliches Schlüsselerlebnis in dieser Sache. Früher, da gehörte auch ich zu jenen, die jeden Neujahrswunsch, jedes Fröhliche Ostern, Pfingsten und Co verschickte und beantwortete. Ich war jung und unerfahren. Den. Gipfel meines Kartenglücks erreichte ich jedoch, als mich Teddy Kollek, der Bürgermeister von
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