Der Blaumilchkanal
Jerusalem, zehn Tage vor dem Fest mit einem »glücklichen und erfolgreichen« neuen Jahr auszeichnete. Ich fühlte mich persönlich geehrt. Herr Kollek gilt bei uns als herausragende Persönlichkeit, und er hatte seine Karte, die er bescheiden mit »Herzlichst Teddy Kollek« unterschrieb, ohne jede überflüssige Höflichkeitsfloskel abgefaßt. Auf dem Briefumschlag T. Kollek, Jerusalem, das war alles.
Die Beste und ich wunderten uns, wie ich zu dieser hohen Ehre käme, und gelangten zu der Überzeugung, Teddy müsse wohl ein besessener Literaturfreund sein, dessen Herz ich mit meinen Werken erobert hatte und der seiner grenzenlosen Bewunderung auf diesem Wege Ausdruck verleihen wollte. Natürlich schrieb ich von nun an Herrn Kollek meinerseits jedes Jahr eine zu Herzen gehende Karte, und ich ließ es mir nicht nehmen, sie höchstpersönlich in den Briefkasten zu stecken, um den intimen Charakter unserer Beziehung zu unterstreichen. Hier handelte es sich nämlich nicht um die übliche Ifeiertagsroutine. Nein, hier ging es um den Gedankenaustausch zweier erklärter Intellektueller, die sich zwar wegen Arbeitsüberlastung in unterschiedlichen Bereichen nicht persönlich kannten, der eine ein herausragender Politiker, der andere ein vielversprechender Satiriker, die jedoch zum Jahresende jeweils zur Feder griffen, um ihre geistige Verbundenheit auszudrücken. Es war ergreifend. Ich versuchte aber niemals, diese enge Beziehung zu einem persönlichen Vorteil zu mißbrauchen. Selbst bei den zahlreichen Empfängen, an denen er wie ich teilnahmen, winkte ich nur unauffällig in seine Richtung und lächelte dabei verschmitzt. Auch Teddy übte noble Zurückhaltung.
Ja, unsere Beziehung hatte Stil.
Jedes Jahr, wenn ich kurz vor dem Neujahrsfest fragte: »Hat Teddy geschrieben?«, hatte er es bereits getan. Selbst wenn er im Ausland weilte, traf stets pünktlich vor dem Fest seine bescheidene Karte ein, unterschrieben: »Herzlichst Teddy Kollek, Jerusalem«. Diese Beständigkeit bestach mich, und ich konnte nicht anders, als von Jahr zu Jahr persönlicher zu werden. Vor fünf Jahren sandte ich ihm dann, wenn ich mich recht erinnere, ein wertvolles Gemälde direkt nach Singapur, wo er sich zu Neujahr bei einem internationalen Stadtväterkongreß aufhielt. Auf die Karte schrieb ich:
»In Dankbarkeit und Rührung wünscht Ihnen, lieber Kollek, ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr Ihr ergebener Schützling, der Kraft und Ermutigung aus dem Zeichen Ihrer ungebrochenen Zuneigung schöpft.«
Danach kam der polnische Zirkus nach Tel Aviv.
Ich liebe diese Art der Volksbelustigung, vor allem weil ich stets Freikarten für die Premiere bekomme. Ich hatte also viel Spaß im Zirkus, vor allem bei der Affennummer, und schilderte meine Begeisterung einem Bekannten, der für die PR des Zirkus verantwortlich war:
»Es war köstlich, drücken Sie bitte den Künstlern meine Bewunderung aus.«
»Vielen Dank«, antwortete der Mann, »aus Ihrem Mund ist das ein großes Kompliment. Ich weiß ja, wie sparsam Sie mit Glückwünschen umgehen.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
»Was meinen Sie damit?«
»Nun ja«, sagte mit gequältem Lächeln der Werbefachmann, »stur wie ein Esel schicke ich Ihnen jedes Jahr eine Neujahrskarte, und bisher haben Sie mir noch nicht einmal geantwortet oder mir wenigstens ein kleines Dankeschön gesagt. Aber ich weiß ja, daß Sie prominentere Kontakte haben.«
»Das ist unmöglich«, brauste ich auf, »ich beantworte jede Karte ... Herr... Herr...«
»Kollek«, sagt der Mann, »Teddy Kollek, Gaulstr. 4, Jerusalem.«
Ich hatte das Gefühl, als bräche das Zirkuszelt über mir zusammen. Ich erinnerte mich schlagartig, Teddy Kollek war der Name dieses verantwortungslosen Betrügers, der nicht davor zurückschreckt, sich des Namen eines Bürgermeisters zu bedienen. Während ich ganz langsam in den Erdboden versank, fielen mir die unzähligen, schnulztriefenden Glückwunschkarten wieder ein, die ich dem unerzogenen Funktionär nach Jerusalem geschickt hatte. Die Erinnerung an gewisse verschmitzte Lächeln verschlechterte meinen seelischen Zustand erheblich, und die Erinnerung an Singapur strich ich ein für allemal aus meinem Gedächtnis.
Der polnische Zirkus ist auch nicht mehr das, was er einmal war.
Die epochale Erfindung unseres Exodus war das ungesäuerte Brot, in der Mehrzahl »Mazzoth« genannt, im Sprachgebrauch »Mazzes«. Begreiflicherweise hatten unsere Vorfahren auf der Flucht aus
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