Der Blaumilchkanal
die Post, gleichfalls anonym, 14 Schachteln Mazzes. Vier wurden mir von einer internationalen Transportgesellschaft zugestellt, und durch ein Fenster, das ich unvorsichtigerweise offen gelassen hatte, flogen mir zwei weitere herein.
*
Mühevoll bahnte ich mir am nächsten Morgen durch Berge von Mazzespaketen den Weg ins Freie. Da erblickte ich einen betagten Bettler, der an der Hausmauer ein kleines Schläfchen in der Frühjahrssonne hielt. Munter pfeifend, pirschte ich mich an ihn heran:
»Haben Sie Hunger, mein Alter? Möchten Sie nicht etwas Gutes essen?«
Der Bettler sah mich prüfend an.
»Wie viele Schachteln?« fragte er.
»Sechsundzwanzig«, flüsterte ich. »Kleines Format, dünn, gut erhalten.«
Der alte Bettler dachte über meinen Vorschlag nach. Dann entschied er sich:
»Im allgemeinen bekomme ich fünf Schekel pro Schachtel. Aber bei größeren Mengen gebe ich Rabatt. Macht also 300 Schekel, mit Garantie.«
Ich kann mich jetzt in meiner Wohnung wieder frei bewegen, wenn ich auch gestehen muß, daß mir die Mazzes irgendwie fehlen. Eine Schachtel hätte ich vielleicht behalten sollen. Moses soll schließlich nicht dafür büßen müssen, daß er Ägypten so rasch verlassen hat.
Wir lieben Moses, wir lieben Mazzes, beide aber sind V V der Anlaß für eine Untergrundbewegung, die heute zum ersten Mal ans Licht der Öffentlichkeit tritt. Wir befinden uns in einer schizophrenen Lage. Einerseits versorgen wir uns zu Pessach, wie schon erwähnt, mit Unmengen von Mazzes und machen auch dem letzten gesäuerten Brotkrümel den Garaus, andererseits schaffen wir für das Pessachmahl heimlich Reserven von Brotbergen an. Das beeinträchtigt die feierliche Stimmung nicht im mindesten, was aber ein wenig stört, ist der ohrenbetäubende Krach aus den benachbarten Bäckereien.
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DAS HAMSTERFEST ODER BROT NACH GROSSMUTTERART
Es geht soweit, daß manche Bäckereien in Jaffa vier Schichten einlegen, um die Nachfrage zu stillen. Denn Pessach, das ehrwürdige Fest, ist, wie gesagt, auch das Fest des heimlichen Brothamsterns. Im ganzen Land sind jüdische Mütter, der unangefochtene Mittelpunkt der Familie, unterwegs, um für die heiligen Tage gerüstet zu sein, wobei die Achsen der Kinderwagen unter der Last der 22 versteckten Brotlaibe ächzen.
»Wehe, ihr schneidet mehr als einen Laib auf«, verscheucht die Mutter dann zu Hause die Hungrigen, »daß mir ja nichts austrocknet.«
Für die Brote wird umgehend ein sicherer Platz gesucht, und so landen sie vorübergehend hinter den Handtüchern im Schrank oder überall dort, wo sich sonst noch ein brauchbares Versteck auftreiben läßt.
Die jüdische Mutter weiß zwar, daß von den 22 Laibern nur etwa zwei Drittel das Fest überstehen, während der Rest auf der Strecke versauert, aber Tradition ist Tradition und Hamsterfest ist Hamsterfest. Unter 20 Laibern geht nichts. Drei Laiber verschwinden in der Tiefkühltruhe, in der Hoffnung, daß sie das Fest unverschimmelt überstehen.
»Zuerst«, sagt Mutter, »zuerst werden die Brötchen gegessen.«
Und tatsächlich, die Brötchen gehen weg wie warme Semmeln, wodurch zwei wertvolle Tage gewonnen werden. Die Krise setzt meistens am dritten Tag dieses langen Festes ein, obwohl das Brot dann noch jeden Frischetest besteht.
Das Schöne an dieser großartigen Tradition aber ist, daß der jüdische Phantasiereichtum dem Brothamstern jedes Jahr neue Seiten abgewinnt. So haben es sich die Gläubigen seit einigen Jahren zur Gewohnheit gemacht, ihre Vorräte durch Pittabrot aufzufrischen, das von arabischen Götzendienern gebacken und an einschlägigen Orten, wie zum Beispiel im Busbahnhof, verkauft wird.
Immer beliebter wird auch das System eines jungen Architekten ungarischer Abstammung, »Schwimmendes Brot« genannt und bei manch einem auch als »Das Fünf-Tage-System« bekannt, da es dem gehamsterten Brot eine Haltbarkeit von genau dieser Zeitspanne sichert. Dieses geniale System beruht auf Frischekonservierung durch Einwickeln des Brotes in feuchte Frotteetücher. Etwaige Nebenwirkungen, wie Verlust der Bißfestigkeit oder Schimmelbildung, müssen leider in Kauf genommen werden.
Im vergangenen Jahr kamen die »Schwarzbäckereien« in Mode. Inzwischen aber machen sich jüdische Großmütter mit einer neuen Sitte einmal mehr unentbehrlich. Umgeben von ihren Lieben als Aufpasser kneten sie jetzt selbst den Teig und bereiten im Untergrund schmackhaftes Brot für die ganze Familie zu. So
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