Der Blaumilchkanal
geben sie dem Hamsterfest seine inhaltliche Würde zurück, denn »Sklaven waren wir in Ägypten, und heute essen wir hausgebackenes Brot nach Großmutterart«.
Um das Dritte Gebot auch auf fremdem Terrain kennenzulernen, nahm ich eine Einladung an und erlebte ein Fest nach Großvaterart.
Würde zurück, denn »Sklaven waren wir in Ägypten, und heute essen wir hausgebackenes Brot nach Großmutterart«.
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DER TAG, ALS DER HASE EIER LEGTE
Das Schicksal wollte es und niemand anderer, daß ich voriges Jahr über Ostern wegen Theaterproben in Hamburg bleiben mußte. Die beste Ehefrau von allen ergriff die Gelegenheit und fuhr mit ihrem Wagen für drei Tage nach dem schönen Italien, um sich am vierten Tag von der Versicherung ein nagelneues Autoradio besorgen zu können. Ich blieb also in der Hansestadt allein zurück.
In diesem trostlosen seelischen Zustand griff das befreundete Ehepaar Linsmeyer aus humanitären Gründen ein und schlug mir vor, das Osterfest im Kreise ihrer Familie zu verbringen. Unter vier Augen wies ich Viktor Linsmeyer darauf hin, daß meine streng mosaische Religion keine diplomatischen Beziehungen zu Osterhasen zuließe. Aber er beruhigte mich:
»Es ist für jedermann ein unvergeßliches Erlebnis«, meinte er, »wenn unser süßer kleiner Klaus-Dieter sein Osternest sucht.«
Ich ließ mich also nicht mehr länger bitten, sondern stieß am Ostersonntag als neutraler Beobachter zu den Linsmeyers. Der feierliche Akt der Osternestsuche sollte im Salon stattfinden, der neben dem überwältigenden Osterbaum mit seltenen venezianischen Spiegelimitationen und in den Ecken mit zwei imposanten Barockfauteuils ausgestattet war. Ein reich geschmückter Tisch deutete darauf hin, daß das Fest bereits seinen Lauf genommen hatte. Leise fragte ich Viktor, wo er als amtierender Osterhase die Eier versteckt hätte.
»Dafür ist seit dem Ersten Weltkrieg mein Vater zuständig«, korrigierte mich Viktor und stellte mich Opa Ludwig vor. Ich bemerkte sofort, daß der 90jährige Opa seine grauen Zellen nicht immer gut behandelt hatte. Dementsprechend verlief unser Gespräch.
»Opa, Opa«, brüllte Viktor Opa ins Ohr. »Herr Kishon ist unser Gast.«
»Was?«
»Der Herr - bleibt - heute - bei uns!«
»Gelobt sei der Name des Herrn«, bestätigte Opa und maß mich mit feindlichem Blick: »Aber was, zum Teufel, sucht der hier?«
*
Glücklicherweise brachte Opas volle Blase eine erfreuliche Wende in unsere kurze Plauderei. Frau Linsmeyer nutzte die Erholungspause und schickte den kleinen Liebling Klaus-Dieter schnell auf Eierjagd.
»Wie ich meinen klugen Jungen kenne, wird er das Osternest im Nu finden«, prophezeite mit unverhülltem Stolz Mutter Gunhild und flüsterte mir zu: »Der verkalkte Alte versteckt es Jahr für Jahr im linken Fauteuil.« »Eiskalt. Kalt. Lauwarm. Warm. Heißer. Heiß«, plapperte Klein-Klaus-Dieter dem Ritual folgend auf seinem Routinegang zum Fauteuil herunter, angefeuert von den aufmunternden Zurufen seiner beiden Erzeuger. Mit der Sicherheit jahrelangen Trainings griff Klaus-Dieter tief in die Polster des Fauteuils und nestelte mit steigender Unruhe darin herum.
»He, was soll das?« hob das Kind schließlich seinen Blick. »Da ist nichts!«
»Aber es muß da sein, es ist doch immer da«, insistierte Mutter Linsmeyer und begann, die Polster systematisch auseinanderzunehmen. Viktor stürzte ins Vorzimmer und trommelte hysterisch an die Klotür:
»Opa, Opa«, hörten wir ihn brüllen. »Wo hast du es versteckt?«
»Was?« hörte man aus dem Klosett. »Wie?«
»Wo - sind - die Eier?«
»Was für Eier?«
Panik brach aus. Mutti und Klaus-Dieter arbeiteten sich tief ins Unterbewußtsein des Fauteuils; bis eine gelöste Feder ihre Selbstbeherrschung verlor und Klaus-Dieter kurzerhand hinauskatapultierte.
»Scheiße«, meinte der Kleine nach seiner Notlandung. »Jemand hat mein Nest gestohlen«, und schickte einen drohenden Blick in meine Richtung.
Um von mir abzulenken kroch ich suchend unter den Fauteuil. Viktor kam mit einem mittelgroßen Küchenmesser zurück und begann die Nähte des Stoffes aufzutrennen. »Sechs Schokoladeneier können sich doch nicht so mir nichts, dir nichts in Luft auflösen«, murmelte das Familienoberhaupt und spuckte Holzwolle.
Kein Zweifel, dieses Osterfest würde mir unvergeßlich bleiben.
»Jedes Jahr derselbe Mist«, heulte Klaus-Dieter, während seine Eltern den unglücklichen Fauteuil in Scheiben schnitten.
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