Der Blaumilchkanal
mich recht erinnere, einen grandiosen Tobsuchtsanfall bekommen.«
»Schon möglich«, sagte die Beste, in süßen Erinnerungen schwelgend, »aber damals wußte ich noch nicht, worauf ich mich einließ.«
Mein Gott, betete ich lautlos, bewahre mich wenigstens vor Hare Krischna. Von mir aus kann sie blond, braun oder schwarz werden, aber ich will keine kahle Frau zu Hause haben.
»Ich glaube, ich werde meinen BH ausziehen«, teilte die nachdenklichste aller Ehefrauen ihrem Spiegelbild mit. »Ich muß mich selbst finden, Ephraim. Ich will mein eigenes Leben führen.«
Wir hätten auch zu einem Exorzisten gehen können. Der hätte gleich auch Frau de Beauvoir ausgetrieben.
»Ich will mich für keinen Mann schön machen müssen«, fuhr meine Gattin fort. »Es ist mir egal, was du davon hältst. Ich werde keine dummen grünen Striche mehr um meine Augen malen, und mein Haar wird nicht mehr mit Henna getönt. Ich will stolz sein auf den silbrigen Schimmer. Ab heute verstelle ich mich nicht mehr. Ich werde Torten und Eiscreme essen, bis ich platze. Ich bin nämlich keineswegs dein Sexobjekt, mein Lieber. Von nun an wirst du mich so nehmen müssen, wie ich wirklich bin.«
Ich wagte keine Widerrede. Mir war alles recht, solange sie sich nicht kahlscheren ließ. »Simone«, sie war nicht zu bremsen, »Simone Signoret sagte: >Meine Runzeln sind ein Teil von mir. Wer mich sucht, findet mich in meinen Runzeln.<«
Ich muß feststellen, daß es zu viele Simones gibt.
»Ich will mich einmal von einer höheren Perspektive aus sehen. Ich muß mir beweisen, Ephraim, daß ich lebe, daß ich existiere, hier und jetzt. Ich will unabhängig werden, hörst du? Ich werde auf die Universität gehen und Literatur studieren. Und Teppichweben will ich lernen, eine einfache Kellnerin will ich sein, eine Saxophonistin, egal was, wichtig ist nur, daß ich es bin.«
Sie rauschte davon, sperrte ihr Ego gemeinsam mit den beiden Simones in ihr Zimmer und telefonierte die nächsten Stunden mit Freundinnen, die sich auch selbst suchten.
*
Am Freitag kam sie mit einem nagelneuen Koffer nach Hause, und ich machte mir ernste Sorgen. Wenn sie mich verläßt, bin ich verloren. Ohne sie würde ich im Kino immer pünktlich sein und mir die Werbung ansehen müssen. Ich ging zu meiner Mutter. Ich sagte ihr, daß meine Frau eben drauf und dran wäre, sich selbst zu suchen.
»Ja, ja«, sagte meine Mutter, »im Leben jeder reifen Frau kommt der Augenblick, da sie begreift, daß ihr Weg ins Nichts führt. Die Ideale der Jugendzeit sind verblaßt, und nun sucht ihr rastloser Geist neue Aufgaben.«
Meine Mutter war beinahe 90, aber sie war nicht nur im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, sie wußte sie auch anzuwenden.
»Also«, fragte ich sie, »was soll ich machen?«
»Mein Junge«, sagte meine Mutter, »kauf ihr eine Louis-Vuitton-Handtasche.«
»Aber Mama«, schrie ich verzweifelt, »du weißt doch, daß sie Kisten und Kästen voller Handtaschen hat. Was ist das Besondere an Louis -Vuitton-Taschen?«
»Der Preis, mein Junge, der Preis.«
Ich fuhr in die Stadt und kaufte die Louis Vuittonste Tasche, die zu finden war. Ein Ding voller Ls und Vs. Was den Preis betrifft, so reduzierte er unser Bankkonto auf den Status von Rufen-Sie-möglichst-bald-Ihre-Bank-an-und-verlangen-Sie-Herrn-Rosenthal.
Zu Hause fand ich die Beste vor einem halb gepackten Koffer. Ihre Miene hatte etwas von »Adieu, Ephraim« an sich. Es war genau wie bei Frau de Beauvoir, nachdem die Wanderlust sie gepackt hatte. Schnell entfernte ich das Packpapier von den Ls und Vs und überreichte sie meiner Gemahlin. Was nun folgte, ist schwer zu beschreiben. Ein elektrischer Schlag ging durch ihren ganzen Körper, mit zitternden Fingern griff sie nach der Tasche, eine euphorische Röte verfärbte ihr Antlitz, und ein ekstatisches Lächeln flatterte um ihren Mund.
»Vuitton«, flüsterte sie, »echter Vuitton.«
Sie flog mir um den Hals und küßte mich, bis ich schwindlig wurde. Im Hintergrund rauschten die Geigen auf, eine Lerche sang, Blumen erblühten, und über dem endlosen Horizont dämmerte ein neuer Tag.
»Ich hab' schon immer davon geträumt«, sagte die beste Ehefrau von allen mit tränenerstickter Stimme, »aber ich hätte niemals gewagt...«
Sie warf dem wundersamen Plastikprodukt einen Blick voll inbrünstiger Leidenschaft zu. Und dann entdeckte sie in ihm, was sie tagaus, tagein gesucht hatte ihre wahre Identität. Sie hatte plötzlich ihr eigenes Selbst wiedergefunden.
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