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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Zeit bereits besiegelt war.
    Dann kam Schulammit Ploni und brachte tatsächlich einen zweiten Zeugen angeschleppt. Nachdem ich meinen Kopf mit einem bunten Halstuch vorschriftsmäßig bedeckt hatte, wurden wir in das Amtszimmer des Rabbiners geführt, eines bärtigen, verehrungswürdigen Patriarchen mit erschreckend dicken Brillengläsern und noch dickerem askenasischem Akzent. Der Rabbi begrüßte mich herzlich. Offenbar hielt er mich für die Braut. Ich korrigierte ihn, worauf er die Daten des Brautpaares in ein mächtiges Buch schrieb und sich dann wieder an mich wandte, als spürte er, daß ich das schwächste Glied in der Kette wäre.
    »Wie lange kennst du den Bräutigam mein Sohn?«
    »36 Jahre, Rabbi.«
    »Gab es irgendwann eine Zeit, eine noch so kurze Zeit, in der ihr nicht gut miteinander standet?«
    »Nicht eine Minute, Rabbi.«
    Alles ging planmäßig. Der Rabbiner nahm Brody glatt zur Kenntnis, wußte nicht, was eine Reportage ist, führte die Eintragungen durch und fragte mich nochmals:
    »Du kannst also bezeugen, mein Sohn, daß der Bräutigam niemals verheiratet war?«
    »Nie im Leben. Rabbi.«
    »Du kennst ihn gut?«
    »Ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß ich ihn besser kennen könnte.«
    »Dann weißt du vielleicht auch, mein Sohn, ob er einer kohanitischen Familie entstammt?« »Natürlich entstammt er einer kohanitischen Familie. Und ob!«
    »Ich danke dir, mein Sohn. Du hast großes Unglück verhütet«, sagte der Rabbi und schloß das vor ihm liegende Buch. »Dieser Mann darf diese Frau nicht heiraten. Niemals kann ein Kohen, ein Nachkomme des Ho-hepriesters, mit einer geschiedenen Frau in den heiligen Stand der Ehe treten.«
    Schulammit Ploni brach in hysterisches Schluchzen aus, Jankel sah mich haßerfüllt an. »Verzeihen Sie, Rabbi«, stotterte ich. »Ich habe in Ungarn eine weltliche Erziehung genossen und wußte nichts von der Sache mit den Kohanim. Bitte streichen Sie diese Stelle aus meiner Zeugenaussage.«
    »Es tut mir leid, mein Sohn. Wir sind fertig.«
    »Einen Augenblick!«
    Wutschnaubend sprang Jankel auf.
    »Vielleicht hören Sie auch mich an? Mein Name ist Kuchmann, und ich war nie im Leben ein Kohen. Im Gegenteil, ich stamme von ganz armen, unbedeutenden Juden ab, man könnte fast sagen von Sklaven.« »Warum hat dann Ihr Zeuge gesagt, daß Sie ein Kohen sind?«
    »Mein Zeuge? Ich sehe ihn heute zum erstenmal. Woher soll ich wissen, wie er auf diese verrückte Idee gekommen ist?«
    Der Rabbiner warf mir über den Rand seiner dicken Brille einen Blick zu, vor dem ich die Augen senkte.
    »Es ist wahr«, gestand ich. »Wir haben uns erst heute kennengelernt. Ich habe keine Ahnung, wer er ist und was er ist. Auch vom Gesetz habe ich keine Ahnung. Ich dachte, es könnte ihm nicht schaden, ein Kohen zu sein. Vielleicht wäre es sogar gut für ihn, dachte ich, vielleicht verbilligt das die Trauungstaxe. Lassen Sie die beiden heiraten, Rabbi.«
    »Das ist unmöglich. Es sei denn, der Bräutigam weist nach, daß er nicht aus einer kohanitischen Familie stammt.«
    »Um Himmels willen«, stöhnte Jankel. »Wie soll ich so etwas nachweisen?«
    »Das weiß ich nicht, und es ist auch noch niemandem gelungen«, sagte der Rabbi. »Und jetzt verlassen Sie bitte das Zimmer.«
    Draußen entging ich nur mit knapper Not einem Mordanschlag. Jankel schwor beim Andenken seiner armen, unbedeutenden Vorfahren, daß er es mir noch heimzahlen würde, und Schulammit besprengte das Straßenpflaster mit ihren Tränen.
    »Warum haben Sie uns das angetan?« heulte sie. »Warum drängen Sie sich dazu unser Zeuge zu sein wenn Sie überhaupt nicht wissen was Sie sagen sollen ein Lügner sind Sie jawohl das ist es was Sie sind ein Lügner ein ganz gemeiner Lügner.«
    Sie hatte recht. Ich habe falsch Zeugnis gegeben. Gott soll sich meiner verlorenen Seele erbarmen.

    Es wird langsam Zeit, daß ich auch etwas Positives über uns Juden sage. Schließlich können wir immerhin auf einige bedeutende Erfindungen hinweisen, wie etwa auf gefillte Fisch und »Fiddler on the Roof«. Auch haben wir einen ausgeprägten Sinn für den Unterschied zwischen Gut und Böse. »Die Juden sind immer hinter der Gerechtigkeit her«, sagt ein altes hebräisches Sprichwort oder ich. Wie die Gerechtigkeit aussieht, wenn ihre Verfolger sie dann endlich eingefangen haben, ist allerdings eine andere Frage, besonders, wenn die Jagd nach Gerechtigkeit an einem so unpassenden Ort vor sich geht wie in einem städtischen

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