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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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oder eines Kaschmirteppichs, besser aber noch mit einem Paßfoto des Angeklagten Meierhofer garniert wird. Mit der Bemerkung »Der Staatsanwalt ermittelt, ob Mehrwertsteuer bezahlt wurde« sollte der Exklusivbericht schließen.
    Daß Frau Meierhofer lediglich vor zwei Jahren einem hartnäckigen Hausierer zwei Fußabstreifer abgekauft hat, tut im Augenblick nichts zur Sache. In jedem Fall stinkt in den Augen der Öffentlichkeit die Perserteppich-Affäre zum Himmel, ansonsten hätte eine seriöse Zeitung doch sicherlich nicht auf der Titelseite und mit Foto darüber berichtet.
    Der Volksvertreter, der bei diesem Fehltritt ertappt wurde, hat jetzt drei Möglichkeiten zu reagieren. Er kann auf seine Immunität verzichten und sich der Justiz stellen, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß fordern oder dem Redakteur mit einer Colaflasche den Schädel einschlagen. Oder er versucht alle drei Möglichkeiten hintereinander. Sein öffentliches Amt kann er in jedem Fall vergessen.
    Ich rate ihm, ohne diese überflüssigen Anstrengungen seinen Rücktritt bekanntzugeben und einen gutbezahlten Job in der Privatwirtschaft anzunehmen.
    *
    Sehr hilfreich bei einer professionellen Verleumdung sind auch höhere Instanzen oder Persönlichkeiten, die der Affäre den offiziellen Anstrich geben. Die Formulierung sollte dann lauten: »Wird die Abteilung für Steuerfahndung rasch eingreifen?«, und damit kann Meierhofer seinen Hut endgültig nehmen.
    Die beste Wirkung ist zwar mit der Steuerbehörde zu erzielen, aber an zweiter Stelle könnte man den lieben Gott oder sogar den Staatsanwalt bemühen. An dritter Stelle kommt natürlich die Polizei. Alle drei müssen noch gar nichts tun oder sagen, es reicht völlig aus, wenn sie »in Erwägung ziehen«, solange das falsche Zeugnis mit einem Fragezeichen schließt.
    Das Fragezeichen spielt nämlich eine besonders raffinierte Rolle. Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten der rufmordenden Anwendung ohne das geringste Risiko.
    Mit Sicherheit bleibt der Durchschnittsbürger im Vorbeischlendern am Zeitungskiosk an der großaufgemachten Schlagzeile hängen: »Wo war der Justizminister am Samstag abend?« Schockiert läuft jener Bürger dann nach Hause zu seiner treuen Gattin und macht seiner Verbitterung Luft: »Wir haben ja keine Ahnung, mein Herz, was die da oben so alles treiben!«
    Unserem Durchschnittsbürger, der zwar die Schlagzeile gelesen, das Blatt aber nicht gekauft hat, entgeht die auf Seite 63 ganz unten versteckte Meldung, daß besagter Minister dem innenpolitischen Redakteur ein blütenweißes Alibi geliefert hat. Er habe den Samstag abend im Kreise seiner Familie verbracht, wo sonst? So einfach also hätte sich der Verdacht zerstreut, er betreibe ein zweitklassiges Freudenhaus am Rande der Stadt.
    Und dem journalistischen Ethos ist auch noch Genüge getan und der Minister voll rehabilitiert, Amen.
    Die Redaktion kann ja schließlich nichts dafür, daß der Durchschnittsbürger das Blatt nicht gekauft hat.
    *
    Unter allen gut einsetzbaren Fragezeichen aber ist die Anfrage im Parlament immer noch die eindrucksvollste. Erfreulicherweise nennt das Gesetz keinerlei Einschränkungen bezüglich Thema oder Stil. Entscheidend ist nur das Fragezeichen am Ende der Anfrage. Zum Beispiel: »Ist dem Herrn Justizminister bekannt, daß der Staatssekretär, der zuständig für die Reisespesen der Politiker ist, soeben der Polizei einen geheimen Be-rieht über häufige Auslandsreisen der Gattin des Ministers vorgelegt hat?«
    Nein, dem sichtlich nervösen Justizminister ist gar nichts bekannt, denn der Verantwortliche hat weder etwas eingereicht, noch hat die Polizei einen geheimen oder öffentlichen Bericht erhalten. Auch gut, dann wurde eben diesmal nichts aus der Anfrage.
    Irren ist menschlich.
    *
    Daß der kleine Mann auf der Straße mit einer Anfrage im Parlament nichts anfangen kann, spielt hier keine Rolle. Ihm bleibt immer noch das Amtsgericht. In unserer Gesellschaft hat nämlich jeder Bürger das Recht, seinen Nächsten für jede Sache der Welt zu verklagen, wenn ihm danach ist und er das nötige Kleingeld dazu hat. Vielleicht verliert er den Prozeß dann in vier bis fünf Jahren, aber in der Zwischenzeit profitiert er von knalligen Schlagzeilen wie: »Erfolgreicher Komponist der Unzucht mit Minderjähriger angeklagt.«
    Was kann der erfolgreiche Komponist, der ausschließlich mit seiner Frau Geschlechtsverkehr pflegt, und das nicht oft, dagegen tun? In der Zeitung steht ja die

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