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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Geschichte weiß ich leider nicht mehr. Aber er muss gemeint haben, er hätte das Gefühl, Ratschläge hätten den gegenteiligen Effekt. Er könnte sogar sardonisch gelacht haben, als hätte die Frage in ihrer Ausblendung unserer Dynamik und der auf der Hand liegenden Antwort etwas Komisches. Genauso gut hätte ich ihn fragen können, ob er das Gefühl hätte, ich respektierte ihn oder seine Ratschläge nicht. Er hätte sich amüsiert geben können, dass ich mich selbst so wenig wahrnahm und so unfähig zum Respekt war, das aber nicht einmal wusste. Es ist, wie gesagt, möglich, dass er mich ganz einfach nicht besonders mochte und auf einen trockenen, kultivierten Humor zurückgriff, um persönlich mit dieser Tatsache klarzukommen. Ich stelle mir vor, dass es schwer sein muss, wenn man den eigenen Nachwuchs nicht mögen kann. Das muss doch Schuldgefühle auslösen. Ich weiß, dass es ihn sogar fuchste, wenn ich zusammengesackt und schlaff vor dem Fernseher hing oder Musik hörte – nicht von ihm, aber ich hatte mitbekommen, wie er im Streit mit meiner Mutter auch das zur Sprache brachte. Meiner bescheidenen Meinung nach stimmt die Grundidee, dass Eltern ihren Nachwuchs instinktiv »lieben«, egal was kommt – die evolutionäre Begründung dieser Tatsache lässt sich einfach nicht ignorieren. Sie aber wirklich zu »mögen«, sie als Menschen zu genießen, ist anscheinend eine ganz andere Kiste. Vielleicht liegen die Psychologen falsch mit ihrer fixen Idee, Kinder müssten fühlen können, dass ihr Vater oder ein anderes Elternteil sie liebt. Und vielleicht sollte man auch mal die These überdenken, dass das Kind den Wunsch hat, sich von den Eltern gemocht zu fühlen, denn wenn die Liebe in den Eltern so automatisch und vorprogrammiert ist, dann ist es kein sehr guter Test, den das typische Kind unbedingt bestehen möchte. Das könnte so ähnlich sein wie beim religiösen Vertrauen, dass Gott einen »bedingungslos liebt« – da der betreffende Gott so definiert wird, dass er automatisch und allumfassend liebt, hat es eigentlich nichts mit einem selbst zu tun, und es ist einigermaßen unverständlich, dass sich religiöse Menschen immer wieder so bestätigt darin sehen, von Gott geliebt zu werden. Es geht mir nicht darum, dass man jedes Gefühl und jede Emotion als für einen persönlich gemeint auffassen muss, sondern nur, dass es aus elementaren psychologischen Gründen schwierig ist, das nicht zu fühlen, wenn es um den eigenen Vater geht – das liegt einfach in der Natur des Menschen.
    Das alles soll jedenfalls auch beantworten, wie ich hier in der Steuerprüfabteilung gelandet bin – unerwartete Zufälle, veränderte Prioritätensetzungen und neu eingeschlagene Richtungen. Solche unerwarteten Dinge können natürlich in allen möglichen und verschiedenen Formen auftreten, und es kann gefährlich werden, wenn man ihnen zu viel Bedeutung beimisst. Ich erinnere mich an einen Mitbewohner – das war am Lindenhurst College –, der ein erklärter Christ war. Im Wohnheim am Lindenhurst hatte ich zwei Mitbewohner, in der Wohnungsmitte lag ein gemeinsamer »Sozialraum«, von dem drei kleine Einzelschlafzimmer abgingen, was ein idealer Grundriss war –, und jedenfalls war der eine Mitbewohner ein Christ und seine Freundin auch. Lindenhurst, meine erste Uni, war ein seltsamer Ort, der hauptsächlich von Hippies und Kaputtniks aus dem Großraum Chicago besucht wurde, aber auch über eine eifernde christliche Minderheit verfügte, die sich vom allgemeinen Leben und Treiben auf dem Campus absonderte. Christlich heißt in diesem Fall evangelikal, also wie Jimmy Carters Schwester, die, wenn ich mich da richtig erinnere, als freiberufliche Exorzistin arbeitete. Die Tatsache, dass sich die Angehörigen dieses evangelikalen Zweigs des Protestantismus einfach als »Christen« bezeichnen, so als gäbe es davon nur die eine, echte Sorte, ist eigentlich schon eine hinreichende Charakterisierung, zumindest, was mich damals betraf. Der hier war über den dritten Mitbewohner in unsere Wohnung gekommen, und den kannte und mochte ich, obwohl er die ganze Dreierwohnungskiste eingefädelt hatte, bevor der Christ und ich uns je begegnet waren, und dann war’s zu spät. Der Christ war definitiv niemand, den ich freiwillig angeworben hätte, bei uns einzuziehen, fairerweise muss ich aber zugeben, dass es ihm egal war, wie ich lebte oder was das Zusammenwohnen mit mir bedeutete. Das Arrangement erwies sich dann sowieso als äußerst

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