Der bleiche König: Roman (German Edition)
jedes Mal änderten, wenn Joyce oder ich von ihr wissen wollten, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, zurückzuziehen, und sie war ganz allgemein und psychologisch gesprochen in gar keiner guten Verfassung. Das ging so weit, dass schon die erste Runde eidesstattlicher Aussagen in einer Nebenklage zwischen einem der Beklagten und seiner Versicherungsgesellschaft – bei der es darum ging, wie hoch gemäß der zwischen dem Beklagten und der Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Haftpflichtpolice der Prozentsatz war, zu dem die Prozesskosten für die Verteidigung des Beklagten in unserem laufenden Verfahren abgedeckt wurde – durch die Tatsache zusätzlich erschwert wurde, dass ein ehemaliger Sozius der führenden Kanzlei, die Joyce und meine Mutter vertrat, jetzt die Versicherungsgesellschaft vertrat, deren Hauptgeschäftsstelle dann in Glenview lag, was zu ergänzenden Schriftsätzen und Eingaben führte, die im Vorfeld klären sollten, ob hier ein Interessenkonflikt vorlag – und verfahrensrechtlich musste diese Nebenklage abgeschlossen oder beigelegt werden, bevor unser Hauptverfahren mit den vorbereitenden Eingaben eröffnet werden konnte –, und dieses war inzwischen zum Doppelverfahren einer zivilrechtlichen Haftungsklage und einer Klage wegen widerrechtlicher Tötung mutiert und so komplex geworden, dass unsere Anwälte fast ein Jahr brauchten, um sich zu einigen, in welcher Form es eigentlich einzureichen war – und die emotionale Verfassung meiner Mutter hatte da schon ein Stadium erreicht, in dem sie beschloss, das ganze Verfahren einstellen zu lassen, was Joyce im Stillen maßlos wurmte, was sie, Joyce, rechtlich aber weder untersagen noch beeinflussen konnte, und es kam zu einem sehr komplizierten Beziehungskonflikt, in dem Joyce mich hinter dem Rücken meiner Mutter dazu bewegen wollte, das Verfahren als Alleinkläger wiederaufnehmen zu lassen, da ich über einundzwanzig, unterhaltsberechtigt sowie Sohn des Verstorbenen war. Aus komplizierten Gründen – allen voran dem, dass ich 1977 in den Bundessteuererklärungen sowohl meines Vaters als auch meiner Mutter als unterhaltsberechtigt aufgeführt worden war, was im Fall meiner Mutter in jeder Bücherrevision sofort abgewiesen worden wäre, dem Service wegen seiner in jener Zeit noch ziemlich primitiven Steuerprüfinstrumente jedoch entgangen war – stellte sich aber heraus, dass ich, um das tun zu können, meine Mutter rechtlich als »non compos mentis« oder unzurechnungsfähig hätte erklären lassen müssen, was eine zweiwöchige Psychiatrieeinweisung zu Beobachtungszwecken erfordert hätte, bevor wir von einem gerichtlich zugelassenen Psychiater den entsprechenden rechtskräftigen Befund erhalten hätten, und danach war niemandem in der Familie auch nur entfernt zumute. Deshalb endete der gesamte Rechtsstreit nach sechzehn Monaten, abgesehen davon, dass unser ehemaliges Anwaltsteam eine Folgeklage gegen meine Mutter anstrengte, denn allem Anschein nach war im Vertrag, den Joyce und meine Mutter unterzeichnet hatten, auf eine Erstattung der Kosten und Gebühren zugunsten eines Vierzigprozentanteils an der Schmerzensgeldzahlung explizit verzichtet worden. Die unergründlichen Argumente, mit denen unser ehemaliges Team diesen Vertrag wegen juristischer Zweideutigkeiten in einer Nebenklausel ihres eigenen Vertrags für null und nichtig erklärte, konnten mir nie so plausibel dargelegt werden, dass ich sagen könnte, ob sie einfach nur obszön waren oder nicht, da ich mich zu diesem Zeitpunkt schon in meinem letzten Semester an der DePaul befand, und außerdem lief da schon der Anwerbungsprozess durch den Service, und Joyce und meine Mutter mussten den nächsten Anwalt damit beauftragen, sie gegen die Klage der ersten Anwälte zu verteidigen, die, ob Sie’s glauben oder nicht, bis heute nicht abgeschlossen ist und einen der Hauptgründe darstellt, die meine Mutter anführt, warum sie sich im Haus in Libertyville praktisch eingekapselt hat, wo sie immer noch wohnt, aber praktisch nicht mehr ans Telefon geht, obwohl die ersten Zeichen ihres psychischen Verfalls schon viel früher aufgetreten waren, wahrscheinlich sogar schon im Verlauf des ersten Rechtsstreits, als sie nach dem Unfall meines Vaters in dessen Haus zurückgezogen lebte, denn das erste psychologische Symptom, an das ich mich erinnern kann, betraf ihre zunehmende Fixierung auf das Wohlergehen der Vögel in einem Finken- oder Starennest, das es schon seit Jahren über einem der
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