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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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hielt.
    Und das Gerichtsverfahren wegen widerrechtlicher Tötung wurde wie gesagt unglaublich komplex, obwohl es, technisch gesehen, gar nicht über die Phase vor Prozessbeginn hinausging, in der festgestellt werden sollte, ob die Stadt Chicago, die CTA , die Instandhaltungssparte der CTA (das Notbremsenkabel des Waggons, dessen Anhängsel mein Vater auf gewaltsame Weise geworden war, erwies sich als vorsätzlich zerstört und zerschnitten, wobei die Expertengutachten uneins waren, ob die Indizienbeweise frische oder wochenalte Schnitte dokumentierten. Die mikroskopische Analyse durchtrennter Plastikfasern lässt sich anscheinend den jeweiligen Partikularinteressen gemäß interpretieren), der Vertragshersteller der U-Bahn, der Zugführer, sein unmittelbarer Vorgesetzter, die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ( AFSCME ) oder einer der über zwei Dutzend verschiedenen Subunternehmer und Lieferanten der verschiedenen Komponenten der verschiedenen von den Kriminaltechnikern, die unser Anwaltsteam beauftragt hatte, beanstandeten Systeme, die bei dem Unfall eine Rolle gespielt hatten, im Prozess als Beklagte eingestuft werden sollten, denen haftpflichtiges, fahrlässiges, grob fahrlässiges Verhalten oder aber eine »Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht« angelastet werden konnte. Meiner Mutter zufolge hatte der Ansprechpartner unseres Anwaltsteams ihr anvertraut, die Vielzahl der aufgeführten Beklagten sei nur ein strategischer Eröffnungszug, und schlussendlich würden wir hauptsächlich die Stadt Chicago verklagen – die, eine Ironie des Schicksals, natürlich der Arbeitgeber meines Vaters war –, uns auf das »Deliktsrecht bei Transportunternehmen« sowie einen Präzedenzfall des Titels Ybarra vs. Coca-Cola berufen, um zu rechtfertigen, warum die Haftpflicht den Schultern desjenigen Beklagten aufgebürdet werde, der, wie sich würde zeigen lassen, am ehesten auf kostengünstige und effiziente Weise imstande gewesen wäre, vernünftige Maßnahmen zur Unfallverhütung einzuleiten – vermutlich durch strengere Auflagen zur Qualitätssicherung bei der Pneumatik und den Sensoren der Waggontüren im CTA -Vertrag mit dem U-Bahn-Bauer, eine Zuständigkeit, die in einer weiteren Ironie des Schicksals zumindest teilweise der Kosteneffizienzstelle Quästur der Stadt Chicago oblag, in der eine der Aufgaben meines Vaters darin bestanden hatte, gewichtete Evaluationen der Beschaffungskosten im Vergleich zu den Haftungsrisiken in bestimmten Vertragsklassen der städtischen Behörden anzufertigen – zum Glück stellte sich aber heraus, dass die CTA -Investitionen in Sachanlagen von einer anderen Abteilung oder einem anderen Team in der Kosteneffizienz überprüft wurden. Zu meiner Bestürzung ebenso wie zu der von Joyce und meiner Mutter zeichnete sich dann jedoch zunehmend ab, dass die Hauptkriterien unseres Anwaltsteams waren, (a) bei welcher Firma, Behörde oder Kommunalkörperschaft die Haftpflichtübernahme im Fall einer Beklagung für die höchste Liquidität sorgen würde und (b) was die Schlichtungsprotokolle der jeweiligen Versicherungsträger in vergleichbaren Fällen festgehalten hatten – soll heißen, das ganze Verfahren drehte sich um Zahlen und Geld und nicht um irgendetwas wie Gerechtigkeit, Verantwortung und die Vermeidung künftiger widerrechtlicher, öffentlicher und absolut würde- und sinnloser Todesfälle. Ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob ich das alles gut erklären kann. Das gesamte Gerichtsverfahren war, wie gesagt, so kompliziert, dass es sich der Beschreibung geradezu widersetzt, und der Juniorpartner, dem von unserem Anwaltsteam die Aufgabe übertragen worden war, uns in den ersten sechzehn Monaten über die Entwicklungen und sich ergebenden Strategien auf dem Laufenden zu halten, war nicht gerade der hellste oder mitfühlendste Beistand, den man sich hätte wünschen können. Außerdem versteht es sich wohl von selbst, dass wir alle verständlicherweise sehr aufgewühlt waren, und meine Mutter – deren emotionale Gesundheit seit dem Nervenzusammenbruch oder den abrupten Veränderungen der Jahre 1971/72 und der nachfolgenden Scheidung sowieso sehr angeschlagen gewesen war – machte immer wieder etwas durch, was wohl als dissoziativer Schock oder Konversionsreaktion eingestuft werden muss, und am Ende zog sie sogar wieder in das Haus in Libertyville ein, in dem sie bis zur Trennung zusammen mit meinem Vater gewohnt hatte, angeblich »nur vorübergehend« und aus Gründen, die sich

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