Der bleiche König: Roman (German Edition)
Dachbalken der großen, offenen Holzveranda gegeben hatte, die einer der Clous des Hauses in Libertyville gewesen war, als meine Eltern damals die Entscheidung getroffen hatten, dort hinzuziehen, und ihre Zwangsvorstellungen weiteten sich dann von diesem Nest auf die Vögel der Nachbarschaft im Allgemeinen aus, und sie ließ auf der Veranda und dem Rasen vor dem Haus immer mehr Vogelhäuser und Futterröhren anbringen, kaufte und streute immer mehr Vogelfutter, legte dann aber auch Menschenkost und diverses »Vogelzubehör« auf der Verandatreppe aus, an einem Tiefpunkt sogar winzige Möbelstücke einer Puppenstube aus ihrer Kindheit in Beloit, die sie meines Wissens als Erinnerungsstücke gehütet hatte, und ich hatte mitbekommen, wie sie Joyce alle möglichen Kindheitsanekdoten erzählte, wie viel ihr die Puppenstube bedeutet und wie sie Miniaturmöbel für sie gesammelt und viele Jahre im Abstellraum des Hauses in Libertyville aufbewahrt habe, zusammen mit vielen anderen Erinnerungsstücken aus meiner frühen Kindheit in Rockford, und Joyce, die meiner Mutter immer eine treue Freundin und eigentlich auch Pflegerin blieb – obwohl sie sich 1979 bis über beide Ohren in den Anwalt verliebte, der ihnen bei der Einleitung des Insolvenzverfahrens gegen Speculum Books gemäß Chapter 13 half, heute mit ihm verheiratet ist und mit ihm und ihren beiden Kindern in Wilmette lebt –, Joyce also ist ebenfalls der Meinung, dass die öde, komplexe und zynische Endlosigkeit der rechtlichen Folgeschäden des Unfalls großenteils dafür verantwortlich zu machen ist, dass meine Mutter das Trauma des Todes meines Vaters nie aufarbeiten und auch die ungelösten Probleme und Emotionen aus der Zeit um 1971 herum nie bewältigen konnte, die nach dem Unfall wieder hochgekocht waren. Wobei ich ja finde, ab einem gewissen Punkt sollte man einfach die Zähne zusammenbeißen und das Blatt, das man vom Leben erhalten hat, nach bestem Wissen und Gewissen ausspielen.
Aber ich erinnere mich noch an einen Nachmittag, für den ich Extrataschengeld bekommen hatte, weil ich ihm bei einer leichten Gartenarbeit geholfen hatte, und da hatte ich ihn gefragt, warum er mir eigentlich nie Lebensweisheiten mit auf den Weg gebe, so wie die Väter meiner Freunde das machten. Seine Ablehnung von Ratschlägen schien mir damals zu beweisen, dass er entweder ungewöhnlich schweigsam und zugeknöpft war oder dass es ihn einfach nicht genug kümmerte. Im Rückblick ist mir klar geworden, dass es nicht der erste Grund war und schon gar nicht der zweite, sondern dass mein Vater auf seine eigene Art durchaus weise war, zumindest in manchen Dingen. In diesem Fall war er weise genug, seinem Wunsch, weise zu erscheinen, zu misstrauen, und daher gab er diesem Wunsch nicht nach – dadurch erschien er vielleicht unnahbar und gefühllos, aber in Wahrheit war er diszipliniert. Er war erwachsen; er war Herr seiner Gefühle. Das ist natürlich nur graue Theorie, aber meiner Meinung nach gab er mir nie Lebensweisheiten mit auf den Weg wie andere Väter, weil er erkannt hatte, dass Ratschläge – auch weise Ratschläge – den Beratenen faktisch nicht weiterbringen, nichts bei ihm bewirken und sogar Verwirrung verursachen können, wenn der Beratene die weite Kluft zwischen der relativen Schlichtheit des Rats und der in seiner Selbstwahrnehmung absolut verfahrenen Situation und Sackgasse ermisst. Ich kann das nicht gut in Worte fassen. Wenn man zu ahnen beginnt, dass andere Menschen tatsächlich nach den klaren und schlichten Prinzipien guter Ratschläge leben können, werden einem die eigenen Unzulänglichkeiten nur umso drastischer bewusst. Das kann Selbstmitleid verursachen, was mein Vater wohl als großen Feind des Lebens und Komplizen des Nihilismus durchschaut hatte. Allerdings ist es nicht so, dass wir uns darüber je eingehender unterhalten hätten – das hätte schon wieder zu sehr nach Ratschlägen ausgesehen. Ich weiß auch nicht mehr, wie genau er meine Frage an jenem Tag beantwortet hat. Ich weiß, dass ich sie ihm gestellt habe, auch noch, wo wir standen und wie sich die Harke in meinen Händen anfühlte, als ich sie ihm stellte, aber danach klafft eine Lücke. Meiner Meinung nach und ausgehend von meiner Kenntnis unserer Dynamik, dürfte er sinngemäß gesagt haben, mir Ratschläge zu meinem Tun und Lassen geben zu wollen hätte etwas von dem Kaninchen, das in der Kindergeschichte darum »fleht«, nicht in den Dornbusch geworfen zu werden. Den Titel der
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