Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
Vom Netzwerk:
war das seine zugänglichste Haltung. Sein Gesicht sah auch im Neonlicht gesund und braun gebrannt aus. Ich wusste, dass eine seiner Töchter eine Kunstturnerin von nationalem Rang war, und manchmal trug er eine Krawattennadel oder Brosche oder so, die aus einem Barren und einer auf komplizierte Weise darüber gestreckten Platinfigur bestand. Manchmal stellte ich mir vor, in die Kaffeeküche zu kommen und dort nur Mr Glendenning anzutreffen, der am Tresen lehnte, in seinen Kaffeebecher starrte und sich wichtige Verwaltungsgedanken machte. In meinem Gedankenspiel sieht er müde aus, nicht abgespannt, aber verhärmt, von der Verantwortung seiner Position niedergedrückt. Ich komme rein, hole mir einen Kaffee und spreche ihn an, er nennt mich Dave, und ich nenne ihn DeWitt oder sogar D. G., was unter anderen Bezirksdirektoren und Regionalen Vizekommissaren dem Vernehmen nach sein Spitzname war – Mr G. wird Regionalkommissar, heißt es –, ich frage ihn, was los ist, und er vertraut mir ein Verwaltungsdilemma an, das ihn in die Zwickmühle bringt, dass dieser Systems-Typ Lehrl nämlich ständig die Arbeitsplätze der Leute und die Gänge zwischen ihnen umgestaltet, was ihm auf die Nerven geht und eine lächerliche Zeitverschwendung ist, und wenn’s nach ihm ginge, würde er den übereifrigen kleinen Scheißer höchstpersönlich beim Schlafittchen packen, in einen Karton mit nur ein oder zwei Luftlöchern stecken und per FedEx nach Martinsburg zurückverfrachten, aber leider war Merrill Lehrl ein Protegé und Schützling des Stellvertretenden Kommissars für Betreuung von Steuerpflichtigen und Steuererklärungen in Tripel-Sechs, dessen anderer großer Protegé der Regionale Prüfkommissar Mittlerer Westen war, und das war im Grunde, wenn auch nicht offiziell, Mr Glendennings unmittelbarer Vorgesetzter in Sachen Unternehmensprüffunktionen in Dienststelle 047, einer von diesen katastrophalen Verwaltungsbeamten, die an Allianzen, Gönner und Politik glaubten, der 047s Antrag auf eine zusätzliche halbe Schicht GS-9-Prüfer ablehnen und diese Ablehnung mit beliebig vielen auf dem Papier plausibel klingenden Vorwänden begründen konnte, und nur D. G. und der RPK würden wissen, dass es eigentlich um Merrill Lehrl ging, und DeWitt hatte das Gefühl, seinen überlasteten Prüfern etwas Erleichterung schuldig zu sein und den Zeitplan der Steuererklärungsabfertigung strecken zu müssen, was sich, wie zwei verschiedene Untersuchungen ergeben hatten, durch Erleichterungen und Fristverlängerungen besser bewerkstelligen ließ als durch Motivation und Rekonfiguration (eine Analyse, der Merrill Lehrl widersprach, wie D. G. erschöpft anmerkte). In dem Gedankenspiel sind D. G.s Kopf und meiner leicht gesenkt, und wir sprechen halblaut, obwohl außer uns niemand in der Kaffeeküche ist, die gut riecht und in der Dosen fein gemahlenen Melitta-Kaffees stehen und nicht die weißen Jewel-Dosen mit der Kakibeschriftung, und dann, genau im Kontext des Belastete-und-besorgte-Prüfer-Problems, das er mir anvertraut, komme ich D. G. mit der Idee der neuen Dokumentenscanner von Hewlett-Packard und dass sich die Software so rekonfigurieren ließe, dass sie sowohl Steuererklärungen als auch Anhänge scanne, und schlage vor, ausgewählte Posten mit der Warnflagge einer Steuerehrlichkeitsmessung zu versehen, sodass die Prüfer nur noch die wichtigen Warnflaggenposten prüfen und verifizieren müssten statt Zeile für Zeile durch unwichtige Materialien zu waten, bis sie zu den wichtigen Posten kämen. D. G. hört mir konzentriert und respektvoll zu, und nur sein Urteilsvermögen und seine administrative Professionalität halten ihn davon ab, auf der Stelle den enormen Scharfsinn und das Potenzial meines Vorschlags zu würdigen und einem GS-9-Prüfer zu danken, der aus dem Nichts aufgetaucht ist und über den eigenen Tellerrand hinausgeschaut hat, um Prüfern das Leben zu erleichtern und D. G. eine Gelegenheit zu geben, den verhassten Merrill Lehrl dahin zu schicken, wo der Pfeffer wächst.

§ 44
    Ich habe das schon mit einundzwanzig oder zweiundzwanzig Jahren gelernt, als ich zwei Sommer lang als Karrenjunge im IRS-Regionalprüfzentrum von Peoria gejobbt habe. Laut den Jungs, die mir meine Tauglichkeit für eine Karriere im Service bescheinigten, war ich meinesgleichen damit voraus und erkannte diese Wahrheit in einem Alter, wo den meisten erst ansatzweise die Grundlagen des Erwachsenendaseins aufgehen: dass das Leben einem nichts schuldig

Weitere Kostenlose Bücher