Der bleiche König: Roman (German Edition)
gemocht wurde. Wenn er nicht handelte, um gemocht zu werden, sondern so war. Niemand hatte je das Gefühl, Mr Glendenning würde nur eine Schau abziehen, wie weniger begabte Verwaltungsbeamte das machen, und sei es nur vor sich selbst, als wären sie ein Zuchtmeister, weil irgendwo in ihnen das Bild steckt, ein guter Verwaltungsbeamter müsse ein Leuteschinder sein, und jetzt verbiegen sie ihre Persönlichkeit, um diesem Bild zu entsprechen. Oder sie geben den Meine-Tür-steht-jedem-offen-Typ mit dem Lächelkrampf, der glaubt, ein guter Verwaltungsbeamter müsse mit aller Welt befreundet sein, und der deshalb extrem offen und freundlich auftritt, auch wenn es in seinen Verantwortungsbereich gehört, Leute zu maßregeln, Budgets zu kürzen, Bitten abzuschlagen, Leute der Prüfabteilung zuzuweisen oder jede Menge anderer Aufgaben, die alles andere als freundlich sind. Dieser Typ versetzt sich selbst in eine schreckliche Position, denn jedes Mal, wenn er im Interesse des Service etwas tun muss, das einen Mitarbeiter verletzt oder ankotzt, wird sein Handeln dann emotional davon belastet, dass er einem Freund das Fell über die Ohren zieht, und oft fühlt sich der Verwaltungsbeamte wegen seiner Loyalitätskonflikte dann so mies, dass er dem Mitarbeiter gegenüber wütend werden – oder Wut spielen – muss, um die Sache hinter sich zu bringen, was die Angelegenheit unangemessen persönlich werden lässt und den Schmerz und das Ressentiment des abgebalgten Mitarbeiters noch steigert; im Lauf der Zeit untergräbt das die Autorität des Verwaltungsbeamten, und schon bald gilt er überall als falscher Fuffziger, der einem in den Rücken fällt – so tut, als wäre er dein Freund und Kollege, während er dir das Fell über die Ohren zieht, wann immer es ihm beliebt. Interessanterweise sind diese beiden falschen Verwaltungsstile – der Tyrann und der falsche Freund – die beiden Hauptstereotypen der Verwaltungsbeamten in Büchern, Fernsehserien und Comics. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass das Selbstbild, das der unsichere Verwaltungsbeamte in sich trägt, teilweise auf diesen Stereotypen der Populärkultur beruht.
Mr Glendenning schien die Stereotypien weniger zu unterwandern als zu transzendieren. Seine unerschütterliche Ruhe erlaubte es ihm, genau so zu sein und zu handeln, wie er war. Er war ein schweigsamer und eher zugeknöpfter Mann, der seine Arbeit sehr ernst nahm und das auch von seinen Untergebenen verlangte, aber dafür nahm er auch sie ernst, hörte ihnen zu und behandelte sie sowohl als Menschen als auch als Teile eines größeren Ganzen, für dessen reibungsloses Funktionieren er verantwortlich war. Wenn man also einen Vorschlag oder ein Anliegen hatte und der Ansicht war, es hätte seine Aufmerksamkeit verdient, stand seine Tür offen (d. h., man konnte bei Caroline Oooley einen Termin mit ihm abmachen), er hörte sich an, was man zu sagen hatte, aber ob und wie er dann nach dem, was man gesagt hatte, handelte, hing von seinen Überlegungen ab, von Informationen aus anderen Quellen sowie weiter reichenden Erwägungen, die er berücksichtigen und ausbalancieren musste. Mit anderen Worten, Mr Glendenning konnte einem zuhören, weil er nicht unter der Unsicherheit litt, dass es ihn zu irgendetwas verpflichtete, wenn er einem zuhörte und einen ernst nahm – wer sich dagegen sklavisch dem Zuchtmeisterbild unterwarf, musste einen so behandeln, als sei man seiner Aufmerksamkeit unwürdig, und wer sich sklavisch dem Kumpelbild unterwarf, hatte das Gefühl, er müsse einen Vorschlag beherzigen, um einen nicht zu beleidigen, oder langwierig erklären, warum ein Vorschlag nicht realisierbar war, oder eventuell sogar in eine richtige Diskussion zum Thema einsteigen – nur um einen nicht zu beleidigen oder seinem Selbstbild als einem Verwaltungsbeamten Gewalt anzutun, der Vorschläge von Untergebenen grundsätzlich ernst nahm – oder wütend wurde, um sein Unbehagen zu betäuben, weil ihm der Vorschlag eines Menschen nicht willkommen war, den er als Freund und seinesgleichen behandeln zu müssen glaubte.
Mr Glendenning war auch ein Mann mit Stil, ein Mann, dessen Kleidung auch noch perfekt saß, wenn er Auto gefahren war oder lange am Schreibtisch gesessen hatte. Seine gesamte Garderobe hatte einen lockeren Zuschnitt und eine Symmetrie, die ich mit europäischer Herrenmode assoziierte. Er schob immer eine Hand in die Gesäßtasche und lehnte am Tresen, wenn er Kaffee trank. Nach meinem Dafürhalten
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