Der bleiche König: Roman (German Edition)
Sprecherin an ihm interessant findet, und das ist erfreulich.«
»Nur –«
»Gleichzeitig«, fährt Drinion fort, ohne erkennen zu lassen, dass er gemerkt hat, dass Rand etwas einwerfen wollte, obwohl er sie nicht aus den Augen gelassen hat, »kommt einem jemand, der einen interessant findet, seinerseits kraft dieses bekundeten Interesses plötzlich interessanter vor. Auch das gibt dem Ganzen eine sehr interessante Dimension.« Er verstummt. Meredith Rand wartet extra noch einen Augenblick, um sicherzugehen, dass er wirklich fertig ist. Ganz wie ihr eigener linker kleiner Finger ist auch Drinions linker kleiner Finger deutlich runzlig und blass, weil er in der Prüfabteilung den ganzen Tag einen Gummi-Fingerling getragen hat. Sie möchte Drinions Garderobe keinesfalls so weit zur Kenntnis nehmen, um sie auflisten oder für sich charakterisieren zu können. Schon allein der Pullunder ist ein starker Tobak. Sie hat ihr weißes Zigarettenetui aus Vinyl hervorgezogen, lässt es aufschnappen und zieht eine Zigarette heraus, da ja nur noch sie beide am Tisch sitzen.
»Und? Findest du dich interessant?«, fragt Meredith Rand ihn. »Verstehst du, warum dich jemand interessant finden könnte?«
Drinion trinkt wieder einen Schluck und stellt das Glas ab. Meredith Rand merkt, dass er das Glas auf der Serviette perfekt zentriert, ohne darauf achten oder beim Glasfuß pingelig nachbessern zu müssen, damit es perfekt zentriert aufkommt. Dass Drinion nicht anmutig wie ein Tänzer oder Sportler ist, aber etwas Anmutiges an sich hat. Seine Bewegungen sind sehr präzis und sparsam, dabei aber nicht affektiert. Die Gläser auf dem Tisch, die nicht auf Servietten stehen, haben große und verschiedenförmige Kondenswasserpfützen um sich herum. Jemand hat bei der großen Jukebox vom Meibeyer’s, deren konzentrisch angeordnete rote und weiße Lämpchen dank einem integrierten Schaltkreis im Rhythmus der Basslinie des gewählten Stücks blinken, zweimal denselben Popsong gedrückt.
Shane Drinion sagt: »Ich glaube, darüber hab ich noch nie richtig nachgedacht.«
»Weißt du, warum du ›Mr X‹ genannt wirst?«
»Ich glaube ja.«
»Weißt du, warum Chahla ›die Irankrise‹ genannt wird?«
»Ich glaube nein.«
»Weißt du, warum McKenzie ›Zweiter Knöchel‹ Bob genannt wird?«
»Nein.«
Meredith Rand sieht, dass Drinion die Zigarette ansieht. Ihr Feuerzeug steckt in einer Extraschlaufe vom Zigarettenetui aus genarbtem Vinyl – Meredith Rand vergisst ihre Zigaretten so oft und an so verschiedenen Orten, dass ein teures Zigarettenetui sinnlos wäre. Von den Arbeitspausen im Block weiß sie, dass es keinen Zweck hätte, Drinion eine Zigarette anzubieten.
»Was ist mit dir? Findest du mich interessant?«, fragt Rand Shane Drinion. »Ich meine, mal abgesehen davon, dass ich gesagt habe, ich finde dich interessant.«
Drinion sieht ihr in die Augen – er hält oft Blickkontakt, ohne zu provozieren oder zu flirten – und scheint innerlich wieder wie vorhin Karten zu sichten. Drinions Pullunder hat ein schräg kariertes Schottenmuster, und er trägt eine seltsame, kieselig reliefierte Kunstfaserhose sowie braune Wallabees-Imitate, die ohne Weiteres von JC Penney stammen könnten. Der kalte Luftzug aus der Klimaanlage an der Decke zerschreddert ihre Rauchringe sofort, nachdem sie sie geformt und von sich gegeben hat. Am Kickertisch spielt jetzt Beth Rath gegen Herb Dritz, während Keith Sabusawa im Fernseher über der Bar das Warmlaufen der Mannschaften vor dem Baseballspiel der Cardinals verfolgt. Man merkt, dass Beth lieber bei Sabusawa sitzen würde, aber unsicher ist, wie offensiv sie ihm ihre Gefühle zeigen soll. Meredith Rand fand Sabusawa schon immer enorm groß für einen Asiaten. Drinion neigt zu einem Nicken, das nichts mit Etikette oder Bestätigung zu tun hat. Er sagt: »Du bist angenehm, und bisher mag ich dieses Zweiergespräch. Ich habe dadurch die Gelegenheit, dir Aufmerksamkeit zu widmen, was sonst schwierig ist, weil es dir unangenehm zu sein scheint.« Er wartet kurz ab, ob sie etwas sagen möchte. Drinions Miene ist nicht nichtssagend, aber entspannt und neutral auf eine Weise, die auch nichtssagend sein könnte. Ohne es bewusst zu merken, hat Meredith Rand die Produktion von Rauchringen aufgegeben.
»Wenn du mir gern Aufmerksamkeit schenkst, heißt das dann auch, dass du dich für mich interessierst?«
»Ich würde mal sagen, alles, dem man genaue und uneingeschränkte Aufmerksamkeit widmet, wird
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