Der bleiche König: Roman (German Edition)
interessant.«
»Ach ja?«
»Ich finde ja.« Drinion sagt: »Dir Aufmerksamkeit zu widmen, ist natürlich besonders interessant, weil du attraktiv bist. Es ist fast immer angenehm, der Schönheit Aufmerksamkeit zu schenken. Es kostet keine Anstrengung.«
Rand kneift die Augen zusammen, das kann aber auch daran liegen, dass die Klimaanlage ihr den Zigarettenrauch ins Gesicht zurückweht.
Shane Drinion sagt: »Schönheit ist fast schon per definitionem interessant, wenn interessant bedeutet, dass etwas Aufmerksamkeit erzwingt und diese Aufmerksamkeit sich angenehm anfühlt. Obwohl du gerade interessierst und nicht interessant gesagt hast.«
»Du weißt, dass ich verheiratet bin«, sagt Meredith Rand.
»Ja. Jeder weiß, dass du verheiratet bist. Du trägst einen Ehering. Dein Gatte holt dich an mehreren Tagen in der Woche am Südeingang ab. Sein Wagen hat ein kleines Loch im Auspuff, wodurch der Motor mächtig laut wird. Das Geräusch lässt den Wagen leistungsstärker als normal erscheinen, meine ich.«
Meredith Rand wirkt alles andere als erfreut. »Ich bin gerade etwas verwirrt. Wenn du erst sagst, dass ich mich dadurch unbehaglich fühlen könnte, warum schneidest du dann überhaupt das Thema Attraktivität an?«
»Weil du mir eine Frage gestellt hast«, sagt Drinion. »Ich habe dir das gesagt, was meiner Meinung nach die Wahrheit ist. Es dauerte einen Augenblick, zu entscheiden, wie die wahre Antwort lautet und was dazugehört und was nicht. Dann habe ich geantwortet. Dass du dich unbehaglich fühlst, war nicht beabsichtigt. Es war aber auch nicht beabsichtigt, dass du dich nicht unbehaglich fühlst – darum hast du nicht gebeten.«
»Ach, und du bist die Autorität in Sachen Wahrheit, weil ...?«
Drinion wartet einen Augenblick. In dem winzigen Moment seiner Pause merkt Meredith Rand, dass Drinion stockt, weil er nicht weiß, ob noch was kommt oder ob die in der Luft hängende Frage schon eine Einladung ist, zu antworten. D. h., ob sie sarkastisch ist. D. h., er bringt von Haus aus kein Gespür für Sarkasmus mit. »Nein. Ich bin keine Autorität in Sachen Wahrheit. Du hast mich gefragt, was ich interessant finde, und ich habe versucht, die Wahrheit meiner Gefühle zu bestimmen und dir diese Wahrheit zu sagen, weil ich davon ausgegangen bin, dass das erwünscht war.«
»Mir fällt auf, dass du nicht annähernd so unverblümt und mitteilsam warst, als es darum ging, wie du dich fühlst, wenn ich sage, dass ich dich interessant finde.«
Drinions Miene und Tonfall haben sich nicht im Geringsten geändert. »Entschuldige. Ich verstehe nicht ganz, was du gerade gesagt hast.«
»Ich habe gesagt, als ich dich gefragt habe, wie du dich fühlst, wenn ich sage, dass ich dich interessant finde, war deine Antwort nicht so unverblümt. Du warst hektisch und sprunghaft. Und jetzt plötzlich, da es um mich geht, ist dir auf einmal an der nackten Wahrheit gelegen.«
»Jetzt verstehe ich.« Wieder das kurze Zögern. Durch den Nachgeschmack von Tonic Water und Limone schmeckt der Rauch der milden Zigarettensorte dünn. »Ich kann mich nicht erinnern, dass ich bei der ersten Antwort ausweichend oder unaufrichtig gewesen wäre. Vielleicht kann ich manche Sachen besser ausdrücken als andere. Meines Erachtens ist das ein häufig anzutreffender Befund. Außerdem spreche ich normalerweise nicht sehr viel. Ich habe übrigens auch kaum je ein Tête-à-Tête. Vielleicht habe ich deswegen weniger Übung als andere Menschen, auf kohärente Weise in Worte zu fassen, wie ich mich bei etwas fühle.«
»Kann ich dich was fragen?«
»Ja.«
Rand hat jetzt kein Problem mehr damit, Drinion in die Augen zu sehen. »Hast du nie daran gedacht, dass das alles auf andere Leute ein bisschen herablassend wirken könnte?«
Drinion zieht beim Nachdenken ganz leicht eine Braue hoch. Das Baseballspiel im Fernseher hat jetzt angefangen, was vielleicht der Grund dafür ist, dass Sabusawa, der sonst gleich nach Ende der Happy Hour aufbricht, noch nicht loswill, sodass auch Shane Drinion bleiben kann. Sabusawa ist so groß, dass er die Ballen seiner Slipper auf den Boden stellt und nicht auf die dünnen Querstreben unten am Barhocker. Ron, der Barkeeper, poliert ein Glas mit einem Trockentuch, sieht aber ebenfalls dem Spiel zu und sagt etwas zu Keith Sabusawa, der manchmal lange Listen an Baseballstatistiken im Kopf hat, was er Beth Rath zufolge beruhigend und erholsam findet. Zwei große blinkende und zwitschernde Flipperautomaten stehen an der
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