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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Ten Eyck haben Drinion den Spitznamen »Mr X« verpasst, als Abkürzung für »Mr Ekstase«.
    Bei einer Happy Hour im Juni begibt es sich nun, dass Drinion und Meredith Rand allein am Tisch übrig bleiben, einander mehr oder weniger gegenüber, in der Phase des Abends, in der viele andere Prüfer nach Hause gefahren oder in andere Lokale weitergezogen sind. Aber sie beide sind noch da. Meredith Rand wartet offenbar darauf, von ihrem Mann abgeholt zu werden, der dem Vernehmen nach eine Art Medizinstudent sein könnte. Keith Sabusawa und Herb Dritz sind wieder mal am Kickern, und Beth Rath (die auf Sabusawa steht; die beiden kennen sich schon aus dem IRS-Schulungszentrum in Columbus) sieht mit verschränkten Armen zu, in der Hand eine Zigarette Marke More.
    Sie sitzen also allein am Tisch. Shane Drinion ist anscheinend weder nervös noch nicht nervös, weil er der elektrisierenden Meredith Rand allein gegenübersitzt, mit der er noch nie ein direktes Wort gewechselt hat, seit er Ende April hierherversetzt worden ist. Er sieht sie direkt an, aber nicht herausfordernd oder brunstentflammt wie Keck oder Nugent. Meredith Rand hatte schon zwei Gin Tonic und arbeitet am dritten, hat also etwas mehr als normalerweise getrunken, aber noch keine Zigarette geraucht. Wie die meisten verheirateten Prüfer trägt sie sowohl Verlobungs- als auch Ehering. Sie erwidert seinen Blick, aber die beiden schauen sich nicht durchdringend an oder so. Drinions Miene könnte angenehm genannt werden, so wie im Wetterbericht manchmal der Ausdruck angenehm verwendet wird. Er ist bei seinem ersten oder zweiten Michelob in einem der Humpen auf dem Tisch, die nicht alle ganz geleert worden sind. Rand hat Drinion ein paar unverfängliche Fragen zu seiner Herkunft gestellt. Die Sache mit dem Waisenhaus der Kansas Youth Authority scheint sie zu interessieren, vielleicht ist es aber auch nur die klare Offenheit, mit der Drinion sagt, er habe einen Großteil seiner Kindheit in einem Waisenhaus verbracht. Rand erzählt Drinion eine kleine Kindheitsszene, wie sie mit zu einer Freundin nach Hause gegangen sei und wie sie sich mit Händen und Füßen innen an den Türpfosten hochgestemmt hätten und gespreizt da oben zwischen den Pfosten geblieben wären wie gerahmt, allerdings kann sie sich später nicht erinnern, warum sie diese Anekdote erzählt hat oder was der Kontext gewesen sein könnte. Praktisch sofort fällt ihr auf, was auch schon Sabusawa und vielen anderen Prüfern aufgefallen ist – dass Drinion in einer großen Gruppe sozial zwar nur teilweise anwesend ist, dass ein Zweiergespräch mit ihm aber eine ganz andere Qualität hat; man kann sich leicht und angeregt mit ihm unterhalten, eine Eigenschaft, für die es im Englischen kein gutes Wort gibt, was seltsam ist, seltsam ist allerdings auch das, was genau an einer Unterhaltung mit Drinion so gut ist, denn er verfügt über nichts von dem, was man Charme, Umgangsformen oder auch nur Anteilnahme nennen könnte. Er ist ein echt komischer Vogel, wie Rand später zu Beth Rath (aber nicht zu ihrem Mann) bemerken wird. Es kommt zu einem kurzen Austausch, an den sich Meredith Rand nicht sehr gut erinnern wird und bei dem es darum geht, dass Drinion ein Wanderprüfer ist, um das RPZ , die Prüfabteilung und den Service im Allgemeinen, und so fragt Rand: »Magst du die Arbeit oder nicht?«, was Drinion offenbar erst kurz verarbeiten muss. D.: »Ich glaube, wedernoch.« R.: »Gibt es denn etwas, was du lieber machen würdest?« D.: »Das weiß ich nicht. Ich habe keine Erfahrung mit anderen Tätigkeiten. Halt. Das ist nicht wahr. Zwischen meinem sechzehnten und achtzehnten Lebensjahr habe ich drei Abende die Woche in einem Supermarkt gejobbt. Die Arbeit in einem Supermarkt würde ich dem, was ich jetzt tue, nicht vorziehen.« R.: »Sie wird garantiert schlechter bezahlt.« D.: »Ich habe Regale eingeräumt und selbstklebende Preisschildchen auf die Waren gepappt. Ziemlich unspektakulär.« R.: »Hört sich langweilig an.« D.: »...«
    »Wir müssen so tun, als hätten wir ein Tête-à-Tête«, ist Rands erste Bemerkung gegenüber Shane Drinion, an die sie sich später deutlich erinnern wird.
    »Das ist ein ausländischer Ausdruck für ein Privatgespräch«, antwortet Drinion.
    »Also ich weiß ja nicht, ob das so privat ist.«
    Drinion sieht sie an, aber nicht wie jemand, der nicht weiß, was er sagen soll. Emotional und in seinem Auftreten ist er absolut derselbe, wenn er allein und wenn er in einer

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