Der bleiche König: Roman (German Edition)
zufällig ein Homo?«
»Ich glaube nicht.«
»Du glaubst nicht?«, fragt Rand.
»Ich glaube, ich bin eigentlich gar nichts. Ich glaube nicht, dass ich je das gespürt habe, was du sexuelle Anziehung nennst.«
Rand kann Affekte in den Gesichtern anderer Menschen sehr genau entziffern, und soweit sie erkennen kann, gibt es in Drinions Gesicht nichts zu entziffern. »Auch nicht als Teenager?«
Wieder diese kleine Sichtungspause. »Eigentlich nicht.«
»Hattest du Angst, du könntest ein Homo sein?«
»Nein.«
»Hattest du Angst, mit dir könnte was nicht stimmen?«
»Nein.«
»Hatten andere Leute Angst, mit dir würde etwas nicht stimmen?«
Noch eine Pause, nichtssagend und auch wieder nicht. »Nicht dass ich wüsste.«
»Echt nicht?«
»Du meinst als Jugendlicher?«
»Ja.«
»Ich glaube, die Wahrheit ist ganz einfach, dass niemand mir je genug Aufmerksamkeit gewidmet hat, um sich auch nur zu fragen, was wohl in mir vorgeht, geschweige denn sich Sorgen zu machen.« Er hat sich nicht bewegt.
»Auch nicht deine Familie?«
»Nein.«
»Hat dich das fertiggemacht?«
»Nein.«
»Warst du einsam?«
»Nein.«
»Bist du jemals einsam?«
Inzwischen erwartet Rand die Pausen nach einer Frage fast schon oder kann sie jedenfalls als normalen Bestandteil von Drinions Gesprächsrhythmus verarbeiten. Drinion geht nicht darauf ein, dass sie das schon mal gefragt hat.
»Ich glaube nicht.«
»Nie?«
»Ich glaube nicht.«
»Warum nicht?«
Drinion trinkt wieder einen Schluck von seinem warmen Bier. Die Sparsamkeit seiner Bewegungen hat etwas, was Rand gern sieht, ohne bewusst zu merken, dass sie es gern sieht. »Ich glaube, ich weiß nicht, wie ich das beantworten soll«, sagt der Versorgerprüfer.
»Na ja, wenn du merkst, dass andere Menschen Liebschaften oder ein Sexleben haben und du nicht, oder wenn du spürst, dass sie einsam sind und du nicht, was denkst du dann über den Unterschied zwischen dir und ihnen?«
Pause. Drinion sagt: »Ich glaube, das ist eine doppeldeutige Frage. Dir geht es eigentlich um das Vergleichen. Aber wenn ich Leute beobachte, ihnen Aufmerksamkeit widme und darüber nachdenke, wie sie sind, widme ich mir selber und dem, wie ich bin, nicht so viel Aufmerksamkeit. Und dann gibt es nichts zu vergleichen.«
»Vergleichst du nie etwas mit etwas anderem?«
Drinion betrachtet seine Hand und das Glas. »Es fällt mir schwer, mehr als einer Sache auf einmal Aufmerksamkeit zu widmen. Das ist beispielsweise auch ein Grund, warum ich nicht Auto fahre.«
»Aber du weißt, was die Jukebox gerade spielt.«
»Ja.«
»Aber wenn du dich auf unser kleines Gespräch hier konzentrierst, wie kannst du dann gleichzeitig wissen, was die Jukebox gerade spielt?«
Jetzt ist die Pause etwas länger. Als Drinion mit seinem Zweisekundensichten fertig ist, hat sich seine Miene leicht verändert.
Drinion sagt: »Na ja, die Musik ist sehr laut, und ich habe den Song schon ein paarmal im Radio gehört, vier- oder fünfmal, und wenn er im Radio gesendet wird, werden hinterher oft Titel und Sänger eines Songs genannt. Meines Wissens können Radiosender auf diese Weise urheberrechtlich geschützte Musikstücke spielen, ohne jedes Mal eine Gebühr zahlen zu müssen. Das Abspielen im Radio macht ja auch Werbung für das Plattenalbum, aus dem der Song ist. Es ist allerdings leicht verwirrend. Die Vorstellung, der Kunde könne in den Laden gehen und den Song kaufen, weil er ihn im Radio schon ein paarmal gratis gehört hat, finde ich verwirrend. Gut, verkauft wird dann oft das ganze Album, von dem der Song nur einen kleinen Teil bildet, sodass der Song im Radio ein bisschen wie der Trailer eines Films funktioniert, den sie einem zeigen, damit man dann einen Ansporn hat, sich später eine Eintrittskarte für den ganzen Film zu kaufen, von dem der Trailer natürlich nur einen kleinen Ausschnitt zeigt. Und hinzu kommt die Frage, wie das Buchhaltungspersonal des Plattenlabels die Kosten verbucht, die beim Gratisspielen im Radio entstehen. Das scheint weniger eine Unternehmens-und- ICE -Frage zu sein als in den Inter-Unternehmensbereich zu fallen, wenn du mich fragst. Durch Auslieferung und Vertrieb müssen doch erhebliche Kosten anfallen, um die Plattenaufnahme bei den Radiosendern unterzubringen, die sie dann auch spielen. Kann das Plattenlabel oder seine Dachgesellschaft diese Kosten abschreiben, wenn die Radiosender für die Ausstrahlungsrechte des Songs keine Gebühren entrichten und ergo keine Erträge erzielt
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