Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
Vom Netzwerk:
Klapse. Geschlossene. Ein Irrenhaus. Willst du wissen, warum ich da war?«
    »Hast du jemanden besucht, der dir nahesteht?«
    »Weit gefehlt. Ich war da dreieinhalb Wochen lang als Patientin. Willst du wissen, warum?«
    »Ich weiß nicht, ob das eine Frage oder nur die Ouvertüre der Erzählung ist.«
    Meredith Rand verzieht den Mund sardonisch zur Seite und schnalzt ein paarmal mit der Zunge. »Touché. Es nervt ein bisschen, aber wo du recht hast, hast du recht. Ich habe mich geritzt . Weißt du, was das ist, Ritzen ?«
    Kein Unterschied zu sehen – Drinions Gesicht bleibt beherrscht und neutral, ohne dass man den Eindruck hat, er bemühe sich um Neutralität. Meredith Rand hat einen sehr guten subliminalen Riecher für dergleichen – auf Posen reagiert sie allergisch. »Die Tätigkeit, dass sich jemand ritzt.«
    »Fällt das unter Geistesblitz?«
    »Nein.«
    »Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe. Ich bin auch heute noch nicht sicher, nur hat er mir beigebracht, dass der Versuch, es zu analysieren oder die ganzen Gründe zu verstehen, für den Arsch ist – wichtig ist nur, damit aufzuhören, denn sonst landest du direkt wieder in der Klapsmühle, und die Vorstellung, man könnte es mit Verbänden oder langen Ärmeln verstecken und als reine Privatangelegenheit behandeln, die keinen was angeht, ist arrogant und für den Arsch. Und er hat recht. Egal, wo du’s machst oder wie sorgfältig du’s machst, irgendwann sieht und sagt irgendwer irgendwas, oder jemand flippt im Foyer der Schule herum und fleht dich an, Mathe zu schwänzen und in den Park zu gehen und zu kiffen und aufs Lincoln-Denkmal zu klettern, und er packt dich zu hart am Arm, und die Schnitte gehen wieder auf und bluten durch die langen Ärmel, selbst wenn du zwei Blusen übereinanderträgst, und irgendwer ruft die Schulkrankenschwester, selbst wenn du ihm sagst, er soll sich verpissen, und das wäre ein Unfall gewesen, und du fährst einfach nach Hause und lässt das dort verarzten. Unweigerlich kommt irgendwann der Tag, wo jemand deinem Gesicht ansieht, dass du lügst, und rappzapp liegst du mit entblößten Armen und Beinen in einem hell erleuchteten Raum und versuchst, die Sache jemandem zu erklären, der null Humor mitbringt, also ein bisschen so wie das Gespräch mit dir jetzt.« Mit einem kurzen dünnen Lächeln.
    Drinion nickt bedächtig.
    »Das war fies. Tut mir leid.«
    »Es stimmt, ich habe nicht viel Sinn für Humor.«
    »Das ist was anderes. Wenn die das erste Aufnahmegespräch mit dir führen, richtig so mit einem Rechtsformular auf einem weißen Klemmbrett, stellen sie dir Fragen, die gesetzlich vorgeschrieben sind, und wenn sie dich fragen, ob du Stimmen hörst, und du sagst, klar, im Moment hör ich grad Ihre Stimme, die mir Fragen stellt, dann finden sie das nicht witzig, gestehen dir nicht einmal zu, dass du witzig sein willst, sondern sitzen bloß da und sehen dich an. Als wären sie ein Computer, an dem du nicht weiterkommst, solange du nicht die richtig formatierte Antwort eingegeben hast.«
    »Dabei scheint die Frage selbst zweideutig. Auf was für Stimmen beziehen sie sich denn z. B.?«
    »Die haben im Zeller also quasi drei verschiedene Stationen, und zwei davon sind geschlossene Abteilungen, und als Geisteskranke wurde ich im zweiten Stock in die Station eingewiesen, auf der er arbeitete und auf der hauptsächlich reiche Mädchen aus den Heights waren, die nichts aßen oder ein Fläschchen Paracetamol gefuttert hatten, weil sie von ihrem Freund abgesägt worden waren usw., oder die sich immer die Finger in den Hals steckten, sobald sie was gegessen hatten. Da gab’s ganz schön viele Kotzer.«
    Drinion sieht sie unverwandt an. Jetzt berühren sein Gesäß und sein Kreuz nirgends mehr den Stuhl, die Lücke ist allerdings so schmal, dass sie niemand sehen könnte, außer es fiele von der Seite sehr helles Licht ein und würde den schmalen Spalt zwischen Drinion und dem Stuhl ausleuchten.
    »Du könntest fragen, wie ich dahingekommen bin, wo wir doch definitiv nicht reich waren und nicht in den Heights wohnten.«
    »...«
    »Die Antwort lautet: gute Krankenversicherung dank der Gewerkschaft meines Dads. Der stand bei American Twine and Wire von 1956 bis zur Werksschließung am Fließband für Bindedraht. Und blaugemacht hat er bei der Arbeit einzig und allein an ein paar Tagen, an denen ich im Zeller war.« Rand verzieht das Gesicht ganz kurz zu einer Schreckensfratze, deren genaue Bedeutung unklar ist, und steckt

Weitere Kostenlose Bücher