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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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da war. Er trug den weißen Pflegerkittel über einem Pullover, Plastikturnschuhe und einen großen Schlüsselbund. Man hörte ihn im Korridor, ohne sich umsehen zu müssen, weil man ihn am Schlüsselbund erkannte. Wir haben ihm immer gesagt, es sähe so aus, als würde der Schlüsselbund mehr wiegen als er. Ein paar von den Mädchen haben ihm echt Kummer bereitet, weil er einfach nichts für sie tun konnte.«
    »...«
    »Wenn die Visite vorbei war, konnte man abends nur noch im Gemeinschaftsraum fernsehen oder an einer Platte Tischtennis spielen, deren Netz so niedrig war, dass sich auch die mit Downern vollgepumpten Mädchen als gute Spielerinnen fühlen konnten, und er musste nur die Tabletten prüfen, Telefonscheine ausstellen und bei Schichtende die Krankenblätter ausfüllen, was reine Routine war, außer jemand war ›auffällig‹ gewesen.«
    »Anscheinend hast du ihn sehr genau beobachtet«, sagt Shane Drinion.
    »Er machte nicht viel her in Sachen gut aussehend oder nicht. Bei ein paar Mädchen hieß er nur ›die Leiche‹. Die brauchten einfach für jeden einen fiesen kleinen Spitznamen. Oder sie nannten ihn ›Gevatter Tod‹. Das war alles rein körperlich. Aber es war, als käme er von innen nirgends mit seinen Kleidern in Berührung; sie hingen nur an ihm. Er bewegte sich wie ein Sechzigjähriger. Aber er war witzig, und er sprach wirklich mit einem. Wenn man über etwas reden wollte, richtig über etwas reden wollte, ging er mit einem ins Besprechungszimmer neben der Küche, und man konnte reden.« Meredith Rand hat mehrere Methoden, ihre Zigarette auszudrücken, aber ob nun schnell und stechend oder langsam und mehr von der Seite zerreibend, alle sind ungemein gründlich. »Er verdonnerte keine dazu. Er zerrte dich nicht am Ärmel zum Zweiergespräch, damit er mit dir üben konnte. Die meisten vegetierten einfach vor der Glotze rum, und wer wegen Drogen da war, musste zu seinem Termin im Drogenbus. Meistens musste er beim Zwiegespräch die Beine auf den Tisch legen. Den Tisch im Besprechungszimmer, auf dem die Ärzte immer ihre Dossiers ausbreiteten, wenn sie mit den Eltern sprachen. Er lehnte sich zurück, legte die Turnschuhe auf den Tisch und behauptete immer, das wäre wegen seinem kaputten Rücken, aber in Wirklichkeit war das wegen seiner Kardiomyopathie, die er sich auf geheimnisvolle Weise an der Uni eingefangen hatte, wegen der er nicht zu Ende studiert hatte und wegen der er diesen Scheißjob als Irrenhauspfleger machen musste, obwohl er in Bezug auf das, was mit den Leuten wirklich los war, siebentausendmal klüger und scharfsichtiger war als die Ärzte und die sogenannten Betreuer. Die sahen einen immer nur durch die Flaschenböden auf ihren Expertennasen – was durch die Brille nicht zu erkennen war, sahen sie nicht, oder sie verdrehten und zerquetschten es, bis es ihnen passte. Und wenn seine Füße in so billigen Kmart-Schuhen auf dem Tisch lagen, sah er wenigstens wie ein Mensch aus, mit dem man wirklich reden konnte, der einen nicht nur diagnostizieren, nicht nur eine Ätiologie zurückverfolgen wollte, sodass sie etwas sagen konnten, das durch ihre dicken Brillen passte. Die waren ein absoluter Witz, diese Schuhe.«
    »Kann ich dich was fragen?«
    »Warum fragst du nicht einfach, statt Zeit damit zu verschwenden, mich erst bejahen zu lassen, dass du mich was fragen darfst?«
    »Ich verstehe, was du sagen willst.«
    »Und?«
    »Die Füße hochzulegen verhalf ihm zu einer effizienteren Blutzirkulation?«
    »War das die Frage?«
    »Ist das nicht so eine verstärkende Rückfrage, wie du sie meintest?«
    »Herrgott noch mal«, sagt Rand. »Ja, das diente der Zirkulation. Aber wer wusste damals schon, wozu das diente. Es war glaubhaft, dass er einen schlimmen Rücken hatte. Er machte nicht gerade einen quietschfidelen Eindruck. Man merkte einfach, dass man es mit einem Menschen zu tun hatte, der nicht besonders in Form war.«
    »Er wirkte gebrechlich, zumal für sein Alter.«
    Rand wirft jetzt den Kopf manchmal ruckartig zurück und ein bisschen zur Seite, als wolle sie ihre Haarpracht neu in Form bringen, ohne sie zu berühren, so wie das viele heranwachsende Mädchen machen, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. »Er hat mir übrigens auch den Begriff Ätiologie beigebracht. Und mir erklärt, warum die Ärzte so distanziert und steif sein müssen; das gehört einfach zu ihrem Job. Er zwang niemanden, aber manchmal hatte es den Eindruck, als pickte er sich zum Reden bestimmte Leute

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