Der bleiche König: Roman (German Edition)
Lauf des Jahres die Arme immer weiter hochgewandert, ohne dass ich was dagegen tun konnte, was mir selbst im Rückblick Angst einjagt. Es war gut, dass ich dort war; es war verrückt – vielleicht hatten sie alles in allem also doch recht.«
Drinion sieht sie einfach bloß an. Es lässt sich nicht sagen, ob es wirklich regnen wird oder ob die Gewitterfront vorbeizieht. Das Licht draußen hat in etwa die Farbe einer ausgebrannten Blitzbirne. In der Kneipe ist es zu laut, um zu hören, ob es draußen donnert. Die Klimaanlage wird manchmal anscheinend kälter oder eindringlicher, wenn ein Gewitter aufzieht, aber jetzt fühlt sie sich nicht so an.
Meredith Rand sagt: »Manchmal musst du ein Wort einwerfen, als wäre es ein richtiges Gespräch, um wenigstens so zu tun, als fändest du das interessant. Sonst hat man das Gefühl, man sabbelt nur so vor sich hin, und der andere ist in Gedanken ganz woanders.«
»Aber wenn du dich im Gesicht geritzt hättest, dann hätte das die Lage doch viel zu sehr veräußerlicht«, sagt Drinion.
»Na bitte; geht doch. Aber ich wollte mir gar nicht das Gesicht ritzen. Wie er mir am Ende zeigen konnte, war mein äußeres Gesicht alles, was ich wirklich zu haben glaubte. Durch mein Gesicht und meinen Körper galt ich als Sahneschnitte . An der Central Catholic – das ist eine der Highschools hier – war ich eine der Sahneschnitten . So wurden wir genannt – Sahneschnitten . Die meisten von uns waren auch Cheerleader.«
Drinion sagt: »Dann bist du also im katholischen Glauben erzogen worden.«
Rand schüttelt den Kopf und ascht ab. »Das spielt keine Rolle. Solche kleinen Einwürfe hab ich nicht gemeint.«
»...«
»Der Zusammenhang liegt in dem, was du über Schönheit und Einsamkeit gesagt hast. Oder wir, was wahrscheinlich schwer nachvollziehbar ist, denn Attraktivität an der Highschool ist für Frauen angeblich ja der Durchmarsch zu Beliebtheit, Akzeptanz und all den anderen Sachen, die das Gegenteil von Einsamkeit sein sollen.« Manchmal stellt sie ihm direkte Fragen, um seinen Blick erwidern zu können: »Warst du an der Highschool einsam?«
»Eigentlich nicht.«
»Ach, hattest du ja schon gesagt. Und dann ist Schönheit eine Art Macht. Die Leute schenken dir Aufmerksamkeit. Das kann sehr verführerisch sein.«
»Ja.«
Erst im genauen Rückblick fiel Meredith Rand die seltsame Intensität des Gesprächs mit dem Versorgerprüfer auf. Rand, die ihre Umgebung und das Tun und Treiben anderer Leute um sich her normalerweise sehr genau wahrnimmt, erkannte erst später, dass große Teile des Zweiergesprächs im Meibeyer’s überhaupt keinen Kontext gehabt hatten. Durch die Blöcke intensiven Engagements hatte sie die aufdringliche Musik aus der Jukebox ebenso ausgeblendet wie das ausgeprägte Basswummern im Brustbein, das hartnäckige Klötern und Klingeln der Flipperkästen und Spielautomaten, das Baseballspiel im Fernseher über der Bar und das sonst so ablenkende Getöse der Gespräche an den Nachbartischen, aus denen manchmal verständliche Fetzen herausstachen und Aufmerksamkeit verlangten und dann wieder im verwirrenden Hintergrundrauschen all der verschmelzenden Stimmen versanken, die erhoben wurden, um den Eigenlärm der Kneipe zu übertönen. Beth Rath konnte sie das später nur mit einem Vergleich erklären. Es war, als hätte sich um ihren Tisch ein isolierter Container gebildet, in den praktisch nichts von außen eindrang. Dabei hatte sie durchaus nicht die ganze Zeit nur dagesessen und den Versorgermann angesehen; es war nicht irgendwie hypnotisierend gewesen. Sie hatte auch nicht gemerkt, wie viel Zeit verstrichen war oder noch verstrich, was für Meredith Rand sehr ungewöhnlich war
Anmerkung
. Meredith Rand konnte es sich nur damit erklären, dass »Mr X« alles, was sie sagte, so aufmerksam und intensiv verfolgte – mit einer Intensität, die nichts Flirtendes oder auch nur entfernt Romantisches hatte; das war eine qualitativ ganz andere Intensität –, wobei wahrheitsgemäß auch gesagt werden muss, dass sich Meredith Rand von Shane Drinion an jenem Tisch im Meibeyer’s romantisch oder sexuell absolut null angezogen fühlte. Es war einfach etwas ganz und gar anderes.
»Er hat mir dann Folgendes erklärt. Es mir folgendermaßen dargelegt. Abends, nach dem Essen, als die ganzen Gruppen- und Beschäftigungstherapien vorbei waren, die Ärzte in ihren schicken Anzügen gegangen waren und außer ihm nur noch eine Krankenschwester an der Medikamentenausgabe
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