Der bleiche König: Roman (German Edition)
Sprungschanzenschnabel und Bartschatten war angelehnt und dünstete Dutch-Masters-Rauch und das gedämpfte Wabern von Countrymusik aus einem Taschenradio aus. Der Filialleiter, der kein Namensschild trug (die Frau an der Kasse war »Cheryl« gewesen), die Füße hochgelegt hatte, genau das las, was sie vermutet hatte, eine hohe konvexe Stirn besaß und ein hektisches und hartes Blinzeln aufwies, als würde er bei jedem Blinzeln zusammenzucken, was darauf hindeutete, dass nervlich irgendwas nicht in Ordnung war, jedenfalls nicht so ganz, schwang die Füße vom Tisch und erhob sich mit komplexem Stuhlknarren, als sie zaghaft klopfte, und die Wucht, mit der sie fast schon ins Büro stolperte, buchstabierte den ganzen unschuldigen Schock aus, den man nur in ihren Charakter hineinlesen mochte. Sie hatte ihr Gesicht aschfahl gemacht und im Wind vom Seiteneingang zur Fassade nicht geblinzelt, sodass ihr die Augen tränten, hatte die Schultern hochgezogen und die Arme im Gestus entgeisterter Besudelung ausgestreckt. Sie schien zugleich kleiner und größer, als sie war, und der Filialleiter mit dem Zwinker-Tick rührte sich nicht, kam nicht um den Schreibtisch herum, fand auch nicht die Kraft, auf die von ihr abgezogene Schau zu reagieren, als sie schleppend und hypoxisch skizzierte, sie sei eine häufige, ja geradezu gewohnheitsmäßige Kundin in diesem QWIK-’N’-EZ- Rastplatztumor und habe stets nicht nur guten Gegenwert für ihr sauer verdientes Geld erhalten, das sie für häusliche Flickarbeiten bekam, weil sie als alleinerziehende Mutter zweier kleiner Kinder nichts anderes tun könne, dabei habe sie sich in über fünf Jahren Abendschule zur Rechtsanwaltssekretärin weitergebildet in einer Zeit, als sie ihre blinde Mutter im Endstadium ihrer langwierigen unheilbaren Krankheit gepflegt habe, nicht nur Gegenwert und Benzin, sondern immer auch fröhlichen und zuvorkommenden Service von den flotten Deerns am Tresen, bis – an dieser Stelle ein Erschauern, das den Filialleiter, der in der Linken immer noch die Reste eines Little-Debbie-Produkts hielt, doch halb um den Schreibtisch herumbrachte, um sie zu trösten, bis er die Fünfzentimetersauerei an ihrem linken Mantelaufschlag sah, das Ergebnis mehrerer Q-tips-loser Tage und unterdrückten Niesreizes, in der Tat ein Schleimbatzen, der lähmendes Entsetzen verursachte –, bis sie dann heute, und sie wisse gar nicht, wie sie das sagen solle – spontan habe sie halb tränenblind nach Hause fahren wollen, um den Mantel, den sie sich über Monate regelrecht vom Munde abgespart hatte, damit sie mit ihren beiden Kleinen in etwas zur Kirche gehen könne, dessen sie sich nicht schämen müssten, in den Müllcontainer ihrer Sozialwohnanlage zu werfen und den Rest des Tages mit flehentlichen Gebeten zu verbringen, Gott möge sie den Sinn dieser sinnlosen Entehrung erkennen lassen, deren Opfer sie gerade geworden sei, und für den Rest ihrer Tage diesen QWIK ’N’ EZ wegen dieser Erniedrigung und dieses Grauens meiden lassen, aber nein, sie habe in diesem Unternehmen immer so guten Gegenwert und Service bekommen, dass sie es geradezu für ihre Pflicht halte, so beschämend und erniedrigend es auch immer sein möge, ihm mitzuteilen, was seine Angestellte an der Registrierkasse getan habe, auch wenn es überhaupt keinen Sinn ergebe, am allerwenigsten für sie, die so normal und sogar freundlich wirke und zu der sie nett zu sein versucht habe und der sie nichts getan und nur für die Sachen zu zahlen versucht habe, die sie hier habe kaufen wollen, und die, während sie ihr Wechselgeld genommen und ihr in die Augen gesehen habe, den Finger der anderen Hand in die Nase gebohrt, den Arm dann ausgestreckt und ... und ... hier fing sie an, haltlos zu schluchzen und schrille Totenklagelaute von sich zu geben, und als sie auf den Mantelaufschlag hinabsah, erweckte sie den Eindruck, als schaudere sie entsetzt davor zurück und als bestehe der einzige Grund, warum sie den grün beschnodderten Mantel noch nicht ausgezogen habe, darin, dass sie es nicht ertrage, ihn abzustreifen, sie spürte das klonische Blinzeln auf dem Flatsch, das sogar das rote Blutfädchen registrierte, was das Ganze noch scheußlicher machte, dann wandte sie sich ab und wankte hinaus, als wäre sie viel zu fassungslos, um fortzufahren oder eine Wiedergutmachung zu verlangen, sie torkelte hinaus, bis der Transistorsong von Whiskey und Verlust verklang und sie wieder im ausgebleichten Licht des Ladens selbst stand,
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