Der bleiche König: Roman (German Edition)
Einstein.«
Drinion dreht sein leeres Glas. Seine Stirn ist jetzt richtig runzlig. »Aber du hast ausführlich den Konflikt zwischen dem Geständnis deiner Liebe und deinen wahren Motiven geschildert und wie verstört und unbehaglich du dich bei der Aussicht darauf gefühlt hast, ihn nie wiederzusehen.«
»Ich war siebzehn, Herrgott noch mal. Ich war eine hysterische Tussi. Ich werd nach Hause chauffiert, schlag das Telefonbuch auf, und da steht sein Name. Zu seinem Wohnblock waren es von uns aus vielleicht zehn Minuten.«
Drinions Mund ist jetzt leicht geöffnet, als wollte er etwas fragen, wisse aber nicht genau, wo er anfangen soll, und er kommuniziert das mimisch und nicht akustisch.
Rand hebt den Arm und winkt Beth Rath.
»So hab ich ihn jedenfalls kennengelernt.«
§ 47
Toni Ware stand am Parkplatzrand vor dem Münztelefon. Es hing nicht in einer Zelle, sondern einfach an einem Pfosten. Sie lehnte leicht an der vorderen Stoßstange ihres glänzenden Wagens. Über der Rücksitzlehne tauchte die eine Hundeschnauze auf; als sie sie einen Augenblick lang streng ansah, verschwand sie wieder aus dem Blickfeld. Auf dem Beifahrersitz lag ein Dutzend fünf Pfund schwerer Standardziegelsteine, jeder mit der PORTO-ZAHLT-EMPFÄNGER- Karte aus einem anderen Werbeprospekt. Sie war eine standardgroße Frau, eher blass als blond, in Hose und einem beigen Frühlingsmantel, der im Wind flatterte und aufschlug. Der Mann am anderen Ende der Leitung wiederholte ihre komplexe Bestellung, bei der es um mehrere Meter fünf Millimeter dicker Kupferrohre in schräg angeschnittenen Zehncentimeterstücken ging; der Winkel der Schnitte musste 60° betragen. Diese Frau hatte zwanzig verschiedene Stimmen; bis auf zwei waren alle warm und angenehm. Sie umschloss die Sprechmuschel nicht mit der Hand, um sie gegen den Wind abzuschirmen, sondern ließ diesen ins Telefon brausen. Jeder verfällt beim Telefonieren in unbewusste Gewohnheiten; ihre bestand darin, die Nagelhäute der Hand zu mustern, die nicht den Hörer hielt, und sie nacheinander mit dem Daumen derselben Hand hochzuschieben. Vier Frauen waren auf dem Parkplatz des Minimarkts, und zwischen den Schildern für En-Gros-Bierverkauf am Fenster war der Oberkörper der Kassiererin zu sehen. Zwei Frauen standen an den Zapfsäulen; eine dritte saß in einem hellbraunen Gremlin und wartete darauf, dass eine Zapfsäule frei wurde. Sie hatten sich gegen den Wind Plastikhauben über den Kopf gezogen. Toni musste warten, bis der Eisenwarengroßhändler ihre Kreditkarte überprüft hatte, was bedeutete, dass die Firma mit schmalen Margen operierte und sich nicht einmal die vierstündige Wertstellungsverzögerung leisten konnte, und das hieß, dass sie beeinflussbar waren. Jeder Mensch scannt unbewusst und rasch jedes ihm begegnende soziale Sinnesobjekt. Bei manchen Scans geht es vor allen Dingen um Angst und das Bedrohungspotenzial aller neuen Fakten; bei anderen um sexuelles Potenzial, Umsatzpotenzial, ästhetische Gütegrade, Statusindikatoren, Macht und/oder Empfänglichkeit für Dominanz. Toni Wares detaillierte und gründliche Scans drehten sich ausschließlich darum, ob das Objekt beeinflusst werden konnte. Ihr Haar wirkte graublond oder hatte diesen aschblonden Ton, der bei bestimmten Lichtverhältnissen fast grau aussieht. Der Wind peitschte die Tür, wenn Leute herauskamen; sie verfolgte seine Auswirkungen auf ihre Gesichter und die schwachen, unbewusst sich zusammenziehenden Gesten, mit denen sie den Versuch unternahmen, sich zugleich zu ducken und schnell fortzugehen. Es war gar nicht mal so kalt, aber durch den Wind wirkte es kalt. Ihre Augenfarbe hing von ihren jeweiligen Kontaktlinsen ab. Die Kreditkartennummer, die sie dem Mann diktiert hatte, war ihre eigene, aber weder der Name noch die Bundesausweisnummer waren streng genommen die ihren. Beide Hunde hatten denselben Namen, aber jeder wusste unfehlbar, wen sie rief. Ihre Liebe zu den Hunden transzendierte alle anderen Erfahrungen und beseelte ihr Leben. Die Stimme, die sie im Gespräch mit dem Angestellten von Butts Hardware verwendet hatte, war jünger als sie, auffällig kindlich, und sprach bei Kaufleuten, die emotional reif genug waren, um über der reinen Ausbeutung zu stehen, den Beschützerinstinkt an – zugleich überlegen und zärtlich. Als sie die Bestellung bestätigte, sagte sie: »Großartig. Ganz toll. Yay«, und das »Yay« war eine Feststellung, kein Jubelruf. Es war eine Stimme, bei der sich der
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