Der bleiche König: Roman (German Edition)
Gesprächspartner eine Frau mit langen blonden Haaren und Schlaghose vorstellte, die den Kopf schief legte und auch Aussagesätzen eine fragend ansteigende Satzmelodie verlieh. So spielte sie meistens auf Messers Schneide – hinterließ einen falschen Eindruck, der dabei konkret und genau kontrolliert war. Das war eine eigene Kunstform. Es ging nicht um Zerstörung. Das Chaos ist genauso einförmig wie die absolute Ordnung: Ein Durcheinander hat nichts Beseelendes. Die Kassiererin schenkte jeder Kundin ein kühles Lächeln und wechselte ein paar Worte mit ihr. Toni Ware hatte zweimal in drei Jahren an einer Steuerermittlung gegen das Geschäft mitgewirkt, das QWIK ’N’ EZ hieß – das Schild sah dem von Bob’s Big Boy verdächtig ähnlich – und eine der ersten abseits vom Interstate gelegenen Tankstellen gewesen war, die den Tankwart abgeschafft und einen winzigen Laden mit Zigaretten, Getränken und Schlichtfraß für Zwischenstopps eingerichtet hatten. Der Laden tätigte rege Bargeschäfte und wurde von der örtlichen DIF -Funktion alle Jahre wieder markiert, aber er war blitzsauber, eine Außenrevision galt als Gehaltsverschwendung, alle Belege stimmten, und die Bücher waren gerade unordentlich genug geführt, um als unfrisiert durchzugehen. Der Inhaber war ein Pfingstkirchler, der an der zweiten Ausfahrt vom 74 schon mit dem Bau des nächsten von Bondurant sogenannten Rastplatztumors angefangen und für zwei weitere Parzellen Offerten abgegeben hatte.
Sie hatte zwei Festnetzanschlüsse, ein klobiges Mobiltelefon und zwei Patchcodes im Büro, aber für Privatgeschäfte nutzte sie Münztelefone. Sie war weder attraktiv noch hässlich. Ihr Gesicht hatte vielleicht eine gewisse anämische Blässe, war ansonsten aber genauso anziehend, abstoßend oder aufsehenerregend wie die Gesichter von tausend anderen Frauen in Peoria, die in ihrer Blütezeit als »ganz süß« gegolten hatten und danach der Unsichtbarkeit anheimgefallen waren. Sie bewegte sich gern unter dem Radar der Leute. Dass sie den Hörer einhängte, hätte wahrscheinlich nur jemand gemerkt, der selber telefonieren wollte. Jetzt tankten zwei Frauen und ein rötlicher Mann im Flanell. In einem der Autos weinte ein Kind, das Gesicht fratzenhaft verzerrt. Die Autofenster machten das Weinen zur Pantomime. Seine Mutter hatte ein eingedelltes Gesicht, starrte stur auf den Tank und strich ihre Plastikhaube glatt, während der Zapfhahn den Tank füllte. Die Tankstellenfahnenmastaufhängung und -seile flappten im Wind. Hinter sich das Leerlaufgrummeln ihres Wagens, die beiden Hunde in identischen Haltungen hingekauert. Sie verlangsamte den Schritt gerade so weit, dass sie im Vorbeigehen am rechten Rückfenster einen Blick mit dem Kind wechseln konnte, dessen Gesicht verkrampft und rot war, während ihr eigenes Gesicht leer dreinschaute, als einen Augenblick lang der ganze Parkplatz und die Straße vor Intensität erglühten und ein konnotationsloser Ton wie eine geläutete Glocke in ihrem Kopf erklang. Interessant, wie manche Leute neben dem Benzintank stehen bleiben und zusehen, wie er sich füllt, und andere wie die moppelige Frau da vorn das nicht können, sondern sich beschäftigen und herumhantieren, die Windschutzscheibe mit dem Gummiwischer säubern oder mit blauen Lappen die Bremslichter putzen – einfach nicht stillstehen und warten können. Der Mann zahlte bar und rundete auf eine glatte Summe auf. Das halbe Gesicht des Kindes wurde abgeschnitten, weil sich der Himmel und die hoch über ihr knatternde Fahne im Fenster spiegelten. Und sie mochte das Geräusch ihrer eigenen Schritte, den soliden Klang und das Gefühl des Aufpralls in den Zähnen. Fünfmillimeterrohre waren hart genug, um ganz hineingetrieben zu werden, und weich genug, dass das Hämmern nicht zu laut wurde; drei unten am Stamm reichten für jeden Baum.
Drinnen im Tumor herrschte das ausgebleichte Licht aller Lebensmittelläden, hinten an der Wand war der Getränkekühlschrank mit den Glastüren, und es gab zwei Gänge in Ost-West-Richtung mit abgepacktem Konzernkaffee, Haustierfutter und Snacks, während sich Automobilzubehör und Tabak hinter der orangen Theke befanden, an der sich die junge Frau mit Arbeitsjeanshemd und rotem, im Sklavenstil mit Hasenöhrchen gebundenen Kopftuch nach der Benzinmenge erkundigte, Benzin, Bier und Schnupftabak zusammenrechnete und das Wechselgeld durch eine eloxierte Rutsche in eine Stahlschale klimpern ließ. Hinter der Tür am Ende des
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