Der bleiche König: Roman (German Edition)
Formulare, sondern ein ganz normaler Schreibtisch, man kann ihn also sehen. Aber das ist alles. Erst hatte ich hinter ihm noch eine Uhr an der Wand vorgesehen, aber die hab ich wieder gestrichen. Er sitzt immer länger da, und die Zuschauer werden immer gelangweilter und unruhiger, und schließlich gehen sie, erst nur ein paar und dann alle Zuschauer, wobei sie sich zuflüstern, wie langweilig und furchtbar das Stück ist. Und wenn dann das ganze Publikum gegangen ist, kann die eigentliche Handlung des Stücks losgehen. Das war meine Idee – ich hab sie meiner Stiefmama haarklein erzählt, es sollte ein realistisches Stück werden. Aber ich konnte mich nie für eine Handlung entscheiden und ob es überhaupt eine gibt, wenn das Stück realistisch sein soll. Das erzähl ich denen. Nur so lässt sich das erklären.«
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»Es hat immer wieder Untersuchungen gegeben. Zwei Drittel der Steuerzahler glauben, Steuerbefreiung und Steuerabzüge wären dasselbe. Wissen nicht, was Kapitalerträge sind. Jedes Jahr unterschreiben vier Prozent ihre Steuererklärungen nicht. Scheiße, zwei Drittel der Leute wissen nicht, wie viele Senatoren ein Bundesstaat hat. Rund drei Viertel können nicht sagen, in welche drei Gewalten sich die Regierung aufteilt. Es ist doch keine Zauberei, was wir hier machen. In Wahrheit verschwenden wir hier meistens unsere Zeit. Das System schustert uns größtenteils Scheiß zu. Man verbringt zehn Minuten damit, zu einer nicht unterschriebenen Steuererklärung ein 20-C auszufüllen, das geht dann ans Kundenzentrum zurück, ein blöder Formbrief bittet um nachträgliche Unterschrift, nichts Weltbewegendes. Und jetzt werden wir in der Standardprüfabteilung nach Maßgabe des erhöhten Steueraufkommens infolge späterer Revisionen bewertet. Das ist doch ein Witz. Der Löwenanteil der Sachen, die wir prüfen, ist nicht mal revisionsfähig, das ist reine Dämlichkeit. Reine Schludrigkeit. Sie sollten mal die Handschriften der Leute sehen – normale Leute, gebildete Leute. Die Wahrheit ist, sie verschwenden unsere Zeit. Sie brauchen ein besseres System.«
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»Tate ist eine Motte am Bogenlicht der Macht. Geben Sie das weiter.«
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»Das ist eine faszinierende Frage. Der Hintergrund ist faszinierend, wenn Sie sich näher damit befassen. So die Schiene. Eine der Devisen der neuen Regierung war der Glaube, die Grenzsteuersätze könnten gesenkt werden, und zwar besonders in den Spitzengruppen, ohne dass es zu katastrophalen Steuereinbußen käme. Das war eine explizite Wahlkampfaussage. Auf der programmatischen Schiene. Ich bin kein Volkswirtschaftler. Ich weiß, die Theorie besagt, dass niedrige Spitzensteuersätze die Investitionen ankurbeln und die Produktivität steigern, die Schiene eben, der Trend ginge nach oben und das Steueraufkommen würde steigen, was das Sinken der Grenzsteuersätze mehr als kompensieren würde. Dahinter steckt eine ganze technische Theorie, die von manchen allerdings als fauler Zauber abgetan wurde. So die Schiene. Und prompt sahen die Vorschriften am Ende vom ersten Jahr schon ganz anders aus, und die Spitzensteuersätze waren niedriger. Und so geht das weiter. Nur ließ sich dann nach zwei Jahren mit Fug und Recht sagen, dass die Ergebnisse nicht der Theorie entsprachen. Das Steueraufkommen war gesunken, und das waren harte Zahlen, die nicht frisiert oder manipuliert werden konnten. Soweit ich weiß, wurden die Verteidigungsausgaben gleichzeitig massiv erhöht, und das Bundeshaushaltsdefizit war das größte der Geschichte. In bereinigten Dollars, so die Schiene. Und nur zu Ihrer Information, das alles spielte sich auf einer weit höheren Regierungsebene ab als der, mit der wir es hier zu tun haben. Aber jeder versteht wohl, dass die Haushaltsprobleme eine richtige Baum-und-Borke-Kiste waren, denn ein Zurückrudern und erneutes Anheben der Spitzensteuersätze war politisch nicht durchzusetzen, ideologisch, könnte man sagen, genauso wenig wie Kompromisse beim Militäretat, und ein weiteres Plündern der Sozialausgaben hätte die Beziehungen zum Kongress einfrieren lassen. So die Schiene. Das alles konnte praktisch jeder Zeitungsleser wissen, wenn er wusste, worauf er achten musste.«
F.
»Ja, aber nur, was unser Wissen anbelangt, hier auf dieser Ebene im Service. Nicht alles davon kam in die Zeitung. Ich weiß, dass die Exekutive mehrere unterschiedliche Pläne und Vorschläge hatte, um das Problem in den Griff zu kriegen. Das
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