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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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wenn sie Temperatur hat. Also hat sie angerufen und abgesagt, und Midge und Alice Bodnar haben sich dann abgesprochen, einfach alles um eine Woche zu verschieben, um genau sieben Tage, da konnte man sich das leicht merken. Du weißt ja, wie Löwenmütter sind, wenn ihre Jungen Temperatur bekommen.«
    »Da kann ich ein Lied von singen«, wirft Lane Dean von ein paar Meter weiter ein und lacht etwas zu herzhaft. Ein Schuh steht im Schatten des Überbaus vom Block, der andere in der Morgensonne. Lane Dean verzweifelt langsam angesichts der Tatsache, dass ihm die fünfzehn Minuten Pause unaufhaltsam durch die Finger rinnen und dass er dann wieder reingehen und weitere zwei Stunden lang Steuererklärungen prüfen muss, bevor er wieder Pause machen kann. Ein umgekippter leerer Styroporbecher liegt auf dem Rand des Aschenbecherteils eines kleinen Mülleimers in der Nische. Wenn man sich unterhält, vergeht die Zeit anders; unklar ist, ob das besser oder schlechter ist. Der andere Mann untersucht immer noch das Ding am Handgelenk und hält den Unterarm hoch wie ein Chirurg nach dem Händewaschen. Wenn man sich vorstellt, dass die Heuschrecken tatsächlich kreischen, wird die ganze Sache noch beunruhigender. Normalerweise hört man einfach nicht auf sie; nach einer Weile nimmt man sie gar nicht mehr wahr.
    »Also jedenfalls«, sagt der erste Prüfer. »Wir gehen also rüber und trinken was. Midge und Alice Bodnar reden darüber, dass sie fürs Wohnzimmer neue Vorhänge suchen, und finden kein Ende. Eher trockener Kram, Weiberkram eben. Also gehen Hank und ich in den Hobbyraum, Hank sammelt nämlich Münzen – also ernsthaft; nach allem, was ich gesehen hab, ist er ein ernst zu nehmender Münzsammler, der nicht nur diese Pappalben mit ausgestanzten Löchern hat, sondern sich in der Materie richtig auskennt. Und er wollte mir die Abbildung einer Münze zeigen, die er sich vielleicht für seine Sammlung anschaffen will.« Der andere Mann hat zum ersten Mal richtig aufgesehen, als das Münzensammeln erwähnt wird, ein Hobby, das für Lane Dean als Christen immer in mehrerlei Hinsicht etwas Falsches und Verkommenes hat.
    »Ein Fünfcentstück, glaub ich«, sagt der Erste. Er verfällt schon fast in Selbstgespräche, während der zweite Mann immer wieder seine Geschwulst abtastet. Man hat den Eindruck, dass die beiden in ihren Pausen schon seit vielen, vielen Jahren solche Gespräche führen – es ist eine solche Gewohnheit geworden, dass sie ihnen gar nicht mehr bewusst wird. »Kein Buffalo Nickel, aber irgendein Fünfcentstück, von dem bekannt ist, dass es das mit verschiedenen Rückseiten gibt; ich kenn mich bei Münzen nicht so aus, aber selbst ich hatte davon schon gehört, also muss das ziemlich bekannt sein. Nur der genaue Begriff fällt mir jetzt nicht ein.« Er lacht, was fast schmerzerfüllt klingt. »Einfach weg. Komm ums Verrecken nicht drauf.«
    »Alice Bodnar ist eine ganz schön gute kleine Köchin«, sagt der zweite Mann. An seinem Kragen gucken die Plastiklaschen einer hellbraunen Clip-Krawatte ein bisschen heraus. Der Knoten der Krawatte selbst ist knöcheleng; die lässt sich unmöglich lockern. Von seinem Standpunkt aus hat Lane Dean einen besseren Rundumblick auf den zweiten Prüfer. Die Zyste innen am Handgelenk hat die Größe einer Kindernase und sieht fast aus wie ein Horn oder hartes ausgewuchertes Gewebe, gerötet und leicht entzündet, aber das kann auch daran liegen, dass der zweite Mann so viel daran herumpult. Wie auch nicht? Lane Dean weiß, wenn sie an benachbarten Tingle-Tischen im selben Block arbeiten würden, könnte er durchaus eine widerliche fixe Idee in Bezug auf die Handgelenkgeschichte des Mannes entwickeln – würde verstohlene Blicke darauf werfen, sich fest vornehmen, nicht hinüberzusehen usw. Es erschreckt ihn ein wenig, dass er auf den Tischnachbarn des Mannes fast neidisch ist, stellt sich die gerötete Zyste und ihre Karriere als Gegenstand der Ablenkung und Aufmerksamkeit vor, etwas, was sich horten lässt, wie eine Krähe glänzende nutzlose Dinge hortet, die sie zufällig findet, sogar Alufolienstreifen oder Reste einer kaputten Halskette. Er spürt den seltsamen Wunsch, den Mann nach der Wucherung zu befragen, wie ist sie entstanden, wie lange hat er sie schon usw. Es ist so gekommen, wie ihm alle Welt prophezeit hat: Lane Dean muss in den Pausen nicht mehr auf die Uhr sehen. Er hat noch sechs Minuten.
    »So wie das aussah, wollten wir Lachsfilets dünsten und draußen auf

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