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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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ich hoffentlich zu Hause.“
    „Na gut. Konntest du irgendwas
beobachten?“
    Karl lachte leise. „Manche
Gäste, die aus der TRATTORIA kommen, benutzen die Einfahrt als Klo — bevor sie
sich auf den Heimweg machen. Natürlich nur Männer.“
    „Feine Leute!“
    „Mein Rad habe ich da drüben
hinter dem Kiosk angekettet. Das ist ein guter Platz. Dort kommt jetzt niemand
vorbei.“
    Sie gingen über die Straße.
Tarzan stellte sein Rad dazu und sperrte es ab.
    Wenig später hatten sie die
Einfahrt erreicht. Sie blieben stehen und spähten auf den Hof. Er war dunkel
wie eine Gruft. Regen hämmerte seine monotone Melodie auf Kisten, Kästen,
Blecheimer und Mülltonnendeckel.
    „Du sicherst meinen Rückzug“,
sagte Tarzan. „Am besten, du stellst dich hier unters Dach. Das sieht dann aus,
als wartest du auf wen. Ein kurzer Pfiff — wenn jemand kommt. Nee! Das wäre zu
auffällig. Besser ist, du hustest laut.“
    „Sei bloß vorsichtig!“
    „Klar.“
    Im nächsten Augenblick hatte
die Dunkelheit Tarzan verschluckt.
    Karl rückte an seiner
Nickelbrille und strengte die Augen an, sah aber nicht mal mehr einen Schemen
von seinem Freund.
    Lautlos huschte Tarzan über den
gepflasterten Boden. Es war wirklich sehr finster. Im ersten Moment sah er nicht
die Hand vor Augen. Aber dann schimmerte bei den Küchenfenstern etwas Licht
auf, und er konnte sich orientieren.
    Die Küche hatte Feierabend.
Speisen wurden offenbar nicht mehr ausgegeben. Der Raum war dunkel, niemand hielt
sich darin auf. Aber die Tür zwischen Küche und Restaurant stand offen; und das
war die Lichtquelle.
    Tarzan konnte einen kleinen
Ausschnitt des Lokals überblicken. Mario Frasketti stand hinter der Theke,
redete mit jemandem — der nicht im Blickfeld war — und grinste, wobei seine
Augenbrauen zuckten. Am Ende der Theke — auch das sah Tarzan — saß ein
ungeheuer fetter Mann, vermutlich auf zwei Hockern, und trank Schnaps aus
kleinen Gläsern. Gerade in diesem Moment riß er eine Tüte mit Salzmandeln auf.

    Tarzan trat gegen einen
Blecheimer — versehentlich.
    Es schepperte.
    Wie erstarrt blieb er stehen,
hielt den Atem an. Starr beobachtete er Frasketti. Aber der hatte nichts
gehört. Wegen des geschlossenen Fensters und des Lärms im Lokal, und gerade
jetzt legte die Musikbox wieder los: BY THE RIVERS OF BABYLON...
    Tarzan huschte zur Treppe.
Sieben oder acht Stufen führten zur Kellertür hinunter. Dort lagen die
Vorratsräume. Als Versteck für einen gekidnapten Jungen bot sich das geradezu
an.
    Tarzan tappte hinunter. Die
Steinstufen waren glitschig. Modriger Geruch drang ihm in die Nase. Die
Kellertür war mit Blech verkleidet und — natürlich abgeschlossen. Was nun?
    Die Fenster! Nachmittags hatte
er die beiden Kellerfenster gesehen. Sie lagen in Schächten unter dem Niveau
des Hofs, und die Schächte waren mit Gittern gesichert.
    Tarzan flitzte die Stufen
hinauf. Vorsichtig hob er beim ersten Schacht das Gitter ab. Ein Keller, das
wußte er, braucht Lüftung — zumal, wenn er Vorräte enthält. Vielleicht waren
die Fenster offen.
    Er beugte sich in den etwa
metertiefen Schacht, konnte das Fenster erreichen und drückte gegen die
Scheibe. Aber es gab nicht nach.
    Enttäuscht legte er das Gitter
zurück.
    Doch dann — als er beim zweiten
Fenster nachsah, hatte er Glück. Sperrangelweit standen die Fensterflügel
offen.
    Vorsichtig kletterte er in den
Schacht. Um nicht entdeckt zu werden, zog er das Gitter heran. Es schepperte
leise, als Tarzan es über den Schacht legte. Aber das war nicht weit zu hören —
nicht mal bis zu Karl vorn an der Einfahrt.
    Sekundenlang horchte Tarzan in
die Dunkelheit. Das Herz schlug ihm bis in den Hals. Aber Angst hatte er nicht
— nur so ein Gefühl prickelnder Aufregung.
    An Streichhölzer hatte er
gedacht. Sie steckten in der wasserdichten Tasche seiner Regenjacke. Als er das
erste anzündete, blies von irgendwoher Wind; und es erlosch gleich wieder.
Immerhin — die halbe Sekunde hatte Tarzan gereicht, um sich ein bißchen zu
orientieren.
    Es war — wie vermutet — ein
Vorratskeller, vollgestapelt mit Kisten, Dosen und Regalen. In den Regalen
lagen Weinflaschen. Mindestens eine war ausgelaufen. Jedenfalls roch es danach.
Aber es konnte auch Essig sein. So genau kannte Tarzan sich auf diesem Gebiet
nicht aus.
    Im Hintergrund war eine Tür,
wie er gesehen hatte. Also noch eine Chance, Volker zu finden.
    Vorsichtig stieg Tarzan durchs
Fenster auf eine Vino-Kiste und von dort auf den Boden.

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