Der blinde Hellseher
er
froh, von dem unheimlichen Schacht wegzukommen.
Tarzan stieß das Gitter weg und
kletterte blitzschnell ins Freie.
Diesmal hatte Frasketti was
gehört. In der Küche flammte Licht auf.
Tarzan hatte das Gitter über den
Schacht geschoben. Geduckt hetzte er zu Einfahrt.
Bevor er um die Ecke bog, hörte
er, wie die Hintertür geöffnet wurde.
„Karl?“ rief er leise.
Der treue Freund trat aus der
Dunkelheit unter dem Dach hervor. „Was ist denn...“
„Weg! Er kommt...“
Sie nahmen die Beine in die
Hand. Mit Höchstgeschwindigkeit flitzten sie zum Kiosk.
Auf der anderen Straßenseite
bemerkte Tarzan das Pärchen. Wilfried hatte seine Freundin eingeholt, geleitete
sie jetzt, wobei er schützend den Arm um sie legte, und redete auf sie ein.
Als sie ihre Räder erreicht
hatten, blickte Tarzan zurück. Aber Frasketti zeigte sich nicht.
„Ist... Volker im Keller?“
keuchte Karl.
„Keine Spur. Aber Frasketti
hätte mich beinahe erwischt. Erstmal ein Stück weg von hier!“
Sie fuhren nicht an der
TRATTORIA vorbei, sondern in entgegengesetzte Richtung. Man wußte ja nicht, ob
dieser Frasketti in der dunklen Einfahrt lauerte. Da war es schon besser, einen
kleinen Umweg zu machen.
Auf einer unbelebten Straße
radelten sie nebeneinander, und Tarzan erzählte. Karl pfiff durch die Zähne.
Damit meinte er die gefährliche Situation, in der Tarzan gesteckt hatte. Wegen
des Pärchens lachte er.
„Ich habe natürlich gesehen,
wie sie auf den Hof huschten, und wie ein Irrer gehustet.“
„War im Keller nicht zu hören“,
meinte Tarzan und hielt an.
Hier trennten sich ihre Wege.
Tarzan mußte in südliche Richtung, zum Internat zurück. Karl wohnte im Westen
der Stadt.
„Und wie geht’s nun weiter
wegen Volker?“ wollte er wissen.
„Morgen werden wir uns
überlegen, ob wir Frasketti beobachten. Aber...“ Tarzan zögerte.
„Ja?“
„Ich kann’s dir nicht erklären,
Karl. Aber ich habe so das Gefühl, daß wir da den Falschen aufs Korn nehmen.“
„Es war deine Idee“, erinnerte
Karl.
„Ich weiß. Aber Kommissar
Glockner wollte jeden Hinweis haben. Er fand’s richtig, das wir alles sagten,
was uns einfiel.“
„Zuerst ist dir Raimondo, der
Seher, eingefallen.“
„An den muß ich schon die ganze
Zeit denken. Vielleicht sollten wir uns auf ihn konzentrieren. Morgen stimmen
wir darüber ab.“
Damit war Karl einverstanden.
Sie wünschten sich Gute Nacht, und jeder zischte auf seinem Rad ab, daß die
Nässe vom Asphalt aufsprühte.
Tarzan überholte einen Bus, der
langsam anfuhr, und legte dann noch einen Zahn zu. Der Regen hatte fast
aufgehört. Aber der Wind fauchte, trieb schwarze Wolken über den Nachthimmel
und schien von Minute zu Minute kälter zu werden.
Plötzlich wurde Tarzan sich
bewußt, daß er nicht den kürzesten Weg fuhr. Hier ging es zwar auch nach Süden
aus der Stadt hinaus in Richtung Internat, aber er rollte bereits durch das
Villen-Viertel, in dem Volkers Eltern ihr Grundstück hatten.
Warum nicht? dachte er. Dann
fahre ich dort mal vorbei. Schadet niemandem und tut mir nicht weh.
Geschäfte gab es hier nicht.
Auch keine Mehrfamilien-Wohnhäuser. Nur große Grundstücke, in denen sich die
Gärtner überboten, alles noch ansehnlicher zu machen als beim Nachbarn.
Prächtige Villen standen, von der Straße zurückgesetzt, hinter Ziersträuchern
und den jetzt herbstkahlen Beeten des Vorgartens. Nur vereinzelt schimmerten
Lichtstreifen durch die Ritze in den Jalousien.
Schon von weitem sah Tarzan,
daß bei den Krauses was los war. Die Lampe über der Eingangstür brannte; auch
die beiden Gartenlaternen, von denen die Einfahrt zur Garage gesäumt wurde,
strahlten ihr kaltes Licht in die diesige Nacht.
Am Straßenrand wartete eine
dunkle Limousine.
Tarzan fuhr langsamer und
spähte hinüber.
Eben wurde die Haustür
geöffnet. Er konnte in die große Diele sehen, in der er schon oft gewesen war.
Frau Krause stand dort, Volkers Mutter. Sie wirkte, als drückten
Zentnergewichte auf ihre Schultern; ob sie vor 500 Jahren als Editha Eleonora
von Brabant schon mal gelebt hatte — oder nicht, war ihr jetzt sicherlich
schnuppe.
Offensichtlich verabschiedete
sie gerade Gäste. Es war ein seltsames Paar.
Gemessenen Schrittes, als kämen
sie von einer Beerdigung, verließen sie das Haus.
Raimondo, der Seher! schoß es
Tarzan durch den Kopf.
Er riß sein Rad auf die andere
Straßenseite, wo es dunkel war, und hielt an.
Klar! Das mußte er sein. Und
die Frau bei ihm? Wer
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