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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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eigene Person wie ein Hemd abstreift und ganz Onkel Paul
wird. Es redet mit seiner Stimme und benimmt sich wie er.“
    „Hochinteressant ist das auf
jeden Fall“, sagte Tarzan. „Hoffentlich klappt’s heute abend. Wenn das mit der
unsichtbaren Leitung stimmt, Karl, müßten aus einem Medium doch eigentlich auch
lebende Personen sprechen können. Denn wieso müssen die Informationen, die es
von einem der Anwesenden abzapft, unbedingt einen Verstorbenen betreffen? Es
könnte doch sein, daß ich heute abend in der Runde sitze, zufällig an Gaby
denke; und plötzlich sagt Amanda, das Medium: Ich bin Gaby Glockner, genannt
Pfote, die stadtbekannte Rückenschwimmerin. Ich melde mich — nicht aus dem
jenseits — sondern aus dem städtischen Hallenbad und teile mit, daß ich mir
gerade unter dem Föhn die Haare trocken rubbele.“
    Alle lachten.
    Und Gaby setzte noch einen Spaß
drauf, indem sie erschrocken die Hand an den Mund klappte. „Du meine Güte! Ist
denn heute abend Schwimmtraining?“
    „Frag’ Amanda“, kicherte
Klößchen. „Die weiß alles. Nicht verzagen, Amanda fragen! Mann o Mann, Tarzan!
Beneidenswert, daß du dabei bist. Das wird sicherlich mordsmäßig spannend
und...“
    „Ich weiß ja noch gar nicht, ob
ich darf“, wurde er von Tarzan unterbrochen. „Aber hoffentlich! Toi, toi, toi!
Schnell mal an Holz klopfen!“
    Sprach’s und klopfte mit dem
Zeigefingerknöchel an Klößchens runden Kopf.

    „Au!“ machte Klößchen.
    „Deutsche Eiche!“ grinste Karl.
„Die ist auch manchmal hohl.“
    „Dein Kopf klingt nicht
besser“, meinte Klößchen und boxte Karl auf den Oberarm. Aber es war nicht
ernst gemeint.
    Karl hielt mit einer Hand seine
Brille fest. Mit der anderen boxte er zurück.
    „Hört auf mit der Prügelei!“
befahl Gaby. „Hier geht’s um ein ernstes Problem.“
    „Und dein Einwand ist
berechtigt“, sagte Karl zu Tarzan. „Auch lebende Personen können aus einem
Medium sprechen. Deshalb werden manchmal Hellseher oder ein Medium zu Hilfe
genommen, wenn die Polizei nicht weiterkommt. Bei vermißten Kindern, bei
Entführungen und so... Weil Hellseher und ein Medium mit ihren besonderen
Kräften vielleicht mehr erreichen. Dabei geht’s natürlich um lebende Personen.“
    Tarzan nickte. „Jetzt kriegt das
Ganze einen Sinn. Frau Krause erhofft sich von Raimondo und Amanda einen
Hinweis auf Volker.“
    „Auf sein Versteck“, warf Gaby
ein.
    „Wäre ja toll“, murmelte
Klößchen, „wenn Amanda heute abend sagt: Ich, Volker Krause, zur Zeit in den
Händen rücksichtsloser Kidnapper, befinde mich gefesselt und geknebelt in
Bahnhofstraße 137, Hinterhaus, vierter Stock rechts, Zimmer zwei. Bitte zweimal
klingeln, sonst macht niemand auf.“
    Klößchen holte tief Luft und
wollte seinen Ulk noch weiter treiben, wurde aber von Tarzan unterbrochen.
    „Ich finde, über Volkers Lage
sind Witze nicht angebracht. Er ist arm dran.“
    „Hast eigentlich recht“,
murmelte Klößchen und war für einen Moment sehr beschämt.
    Dann klingelte es. Die Pause
war beendet. Hunderte von Schülern — und wesentlich weniger Schülerinnen —,
über den Hof und Park in Grüppchen verteilt, strömten jetzt zum Haupthaus. Und
zum sogenannten GELBEN HAUS, einem Flachbau mit acht Klassenräumen, dem
Physiksaal und der Aula, die immerhin 1200 Personen faßt — was selbst für einen
Festsaal eine ganze Menge ist.
    Die Schüler der Unterstufe
hatten es eilig, die der Oberstufe ließen sich Zeit. Einige rauchten erst ihre
Zigaretten zu Ende, denn wer über 18 war, durfte im Hof rauchen.
    Wer zur Mittelstufe gehörte —
wie die vier Freunde — bewegte sich durchaus nicht in mittlerem Tempo, sondern
je nach Temperament. Klößchen, zum Beispiel, wäre ohne den Antrieb durch Tarzan
regelmäßig zu spät gekommen. Gaby nie. Sie war korrekt und haßte sowas. Tarzan
und Karl entschieden sich von Fall zu Fall. Denn selbstverständlich gibt es in
jeder Schule Lehrer, von deren Unterricht man keine Minute verpassen möchte,
und andere, denen man am liebsten gar nicht begegnet.
    Zu den letzteren gehörte
Fräulein Klamm.
    Ihr Spitzname war „Giftnudel“,
was genug besagt. Manche nannten sie auch „Giftkröte“, heimlich natürlich.
    Leider hatte sie sich die Namen
redlich verdient, und es war nicht übertriebene Boshaftigkeit der Schüler, daß
sie so hieß. Im Grunde hatte die Studien-Assessorin Claudia Klamm ihren Beruf
verfehlt.
    Sie war 29 oder 30 Jahre alt,
ziemlich groß, knochig, daß einem

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