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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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eine Nebelwand vor das Bild, das er
mit seinem inneren Auge erkennen will. Aber er ist, sagt er, auf dem richtigen
Weg. Morgen abend ist die entscheidende Séance.“
    „Die entscheidende
Geistersitzung“, murmelte Tarzan. „Ich vermute, Frau Krause steckt ihm eine
Menge Geld zu, damit er die bösen Mächte bestechen kann. Vielleicht löst sich
dann die Nebelwand auf.“
    „Du hast recht. Sie gibt ihm
Geld. Viel, glaube ich. Heimlich, natürlich! Denn Herr Krause leidet es nicht.“
    „Glatter Betrug!“ Tarzan zog
den Reißverschluß seiner Regenjacke auf und zu, während er nachdachte.
„Suzanne! Du mußt das irgendwie für mich hinkriegen. Bei der Geistersitzung
morgen abend will ich dabei sein!“
    „Ich bin auch dabei. Außerdem
hat Editha einige Bekannte aus ihrem magischen Zirkel eingeladen. Es wird sehr
gruselig werden. Ich weiß nicht, ob deine Nerven das aushalten.“

    „Wie bitte?“ Fassungslos sah er
sie an. Aber dann merkte er, daß sie ihn neckte.
    „Soll ich Editha sagen“, fragte
sie, „daß du als Volkers Freund und begeisterter Anhänger des Spiritismus
(Geisterglaubens) mitmachen möchtest?“
    „Mademoiselle! Wenn du das
tätest!“
    „Mademoiselle tut es. Aber
jetzt friert Mademoiselle. Gute Nacht, mon ami!“
    „Moment noch, du Kaltblüter!
Wie erfahre ich, ob Frau Krause einverstanden ist?“
    „Wie sagt eure Bundespost: Ruf
doch mal an! Morgen, gegen 14 Uhr.“
    „Danke, Suzanne! Schlaf gut!“
    Er wartete, bis sie — nachdem
sie nochmals gewinkt hatte — hinter der Haustür verschwunden war. Nicht, weil
er ihr nachglotzen wollte. (Das hätte er mit klopfendem Herzen höchstens bei
Gaby getan — um sich dann gleich darüber zu ärgern.) Sondern weil man als
Kavalier auf Mädchen aufpassen muß — besonders nachts, wo alles, was Röcke
trägt, sowieso ins Haus gehört. Weiß man denn, wer sich hier rumtreibt — in
einem feinen, einsamen Villenviertel wie diesem, mit ungezählten Verstecken in
nachtdunklen Gärten?
    Plötzlich überkam ihn das große
Gähnen. Kaum, daß er den Mund wieder zukriegte. Wie spät war es denn? O je! Und
noch der lange Rückweg! Nachdenken mußte er auch. Vor allem darüber, unter
welchem Vorwand er sich für morgen abend abmelden konnte. Ein Glück nur, daß es
der Freitag war und wieder Dr. Meinert Dienst hatte. Der würde sich nicht so
pingelig anstellen wie viele andere Erzieher.
    Tarzan fuhr zurück. Niemand
begegnete ihm auf der Zubringerstraße zwischen Stadt und Schule. Ungesehen
brachte er sein Rad in das Versteck an der Rückseite des Schulgeländes. Dann
stieg er über die Mauer, pirschte durch den Park zum Haupthaus und stellte mit
Genugtuung fest, daß im Pauker-Silo nur noch hinter zwei Fenstern Licht
brannte.
    Das Seil war an seinem Platz.
Er turnte hinauf, kletterte durchs Fenster, machte das Seil los und trug es
aufgerollt zum Speicher, wo es wieder auf den Balken kam.
    Als er leise ins ADLERNEST
schlich, schnarchte Klößchen wie eine Motorsäge. Tarzan zog sich im Dunkeln
aus, kroch unter die Decke und wollte noch nachdenken. Aber schon nach wenigen
Sekunden schlief er wie ein Bär.
     
     
     

11.
Nachrichten aus dem Jenseits?
     
    Während der großen Pause am
nächsten Morgen standen sie unter der Ulme im Hof: Gaby, Karl, Klößchen und
Tarzan.
    Werner Kaufmann, der sich zu
ihnen gesellte, wurde gleich verscheucht.
    „Hier findet eine Besprechung
unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt“, sagte Karl.
    Werner machte ein Gesicht, als
hätte man ihn vors Schienbein getreten.
    „Ich will ja nur fragen, ob
jemand Mathe hat“, sagte er, „und mich abschreiben läßt.“
    „Nimm mein Heft“, sagte Tarzan.
„Weißt ja, wo’s liegt.“
    Werner grinste dankbar und zog
ab. Er war in Mathe fast noch schlechter als Klößchen.
    Karl, der gerade zu einem
seiner Vorträge ansetzte, nahm die Nickelbrille ab und hauchte gedankenvoll
gegen die Gläser.
    „Spiritismus, Freunde, ist die
Lehre von den Beziehungen zwischen Geistern Verstorbener und natürlichen
Lebewesen. Also Menschen wie uns.“
    „Aber nix Genaues weiß man
nicht“, warf Klößchen ein.
    „Okkultismus gehört dazu“, fuhr
Karl, der Computer, fort. „Das ist die Lehre von den übersinnlichen Kräften,
die durch besonders veranlagte Personen — Medien wie Amanda, falls sie wirklich
ein Medium ist — zugänglich werden. Die Kräfte, meine ich.“
    „Was soll man sich darunter
vorstellen?“ fragte Gaby.
    „Geisterbeschwörung jeglicher
Art“, antwortete

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