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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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dich“,
lachte er. „Aber noch mehr bewundern wir dich, wenn du in der Aussprache so
tolle Fortschritte machst. Mir stinkt’s nämlich, weißt du, wenn Ausländer nach
Deutschland kommen und die schönsten deutschen Worte ganz selbstverständlich
wie im Englischen, Französischen oder meinetwegen Chinesischen betonen und
aussprechen. Wenn dagegen ein Deutscher ins Ausland fährt, wird er vorher fast
hysterisch vor Angst — daß er nur alles richtig ausspricht und die
Landessprache möglichst noch perfekter kann als die Einheimischen. In der
Beziehung sind wir tatsächlich blöd.“
    Sie lächelte und sah ihn durch
ihre zentimeterlangen Wimpern an. „Ich könnte mir denken, Tarzan, du bist in
Englisch und Französisch nicht besonders gut in der Schule.“
    „Naja. Geht so.
Naturwissenschaft liegt mir mehr.“
    „Also habe ich den Nagel in den
Kopf getroffen?“
    „... auf den Kopf
getroffen. Ja, du hast.“
    Suzanne blickte zur Villa.
„Editha wird Schlaftabletten nehmen. Sie ist auf dem Boden zerstört.“
    „... am Boden zerstört“,
korrigierte Tarzan. „Ja, es ist schrecklich. Hat sich der Kidnapper nochmal
gemeldet?“
    „Bis jetzt nicht. Nichts seit
dem Brief heute morgen.“
    „Frau Krause hatte Besuch,
nicht wahr? Ich sah die beiden wegfahren. War das Raimondo?“
    „Das war er.“
    „Und die blonde Frau?“
    „Amanda, natürlich. Sein
Medium.“
    „Sein Medium? Um Himmels willen!
Wozu braucht er denn das?“
    „Weißt du nicht, was ein Medium
ist?“
    „Doch! Kein Hokuspokus ohne
Medium. Ein Medium kann angeblich den Kontakt zur Geisterwelt herstellen, nicht
wahr? Weil es besondere Kräfte besitzt, die das vermitteln. Ein normaler Mensch
hat die nicht. Amanda hat sie also. Aha!“
    Er grinste.
    „Außerdem“, erklärte Suzanne,
„sieht Raimondo mit ihren Augen. Und natürlich muß sie ihn fahren.“
    „Muß? Wieso muß? Hat man ihm
den Führerschein weggenommen?“
    „Aber er hat doch gar keinen.
Hat nie einen gehabt. Wie soll er denn Autofahren als Blinder?!“
    „Als Blinder?“ staunte Tarzan.
„Ein blinder Hellseher! Ach so!“
    Jetzt konnte er sich erklären,
weshalb die Blonde ihn so behutsam geführt hatte.
    „Daß er blind ist, Suzanne, tut
mir ja leid. Aber daß er ein Schuft ist, glaube ich trotzdem, ein Betrüger und
Scharlatan. Wenn er allein ist, lacht er sich bestimmt halbtot über seinen
Hokuspokus und über die Dummheit der Menschen.“
    Suzanne nickte. „Ich mag ihn
nicht. Unheimlich ist er mir. Wenn du ihn aus der Nähe siehst, läuft es dir
kühl in den Rücken.“
    „... kalt über den
Rücken, sagt man. Hm. Ich möchte ihn sehr gern aus der Nähe sehen.“
    „Dann tu’s doch. Außerdem —
wenn er seine blinden Augen auf mich richtet, denke ich immer, er sieht mich.“
    „Und Amanda?“
    „Die kann sehen.“
    „Jaja. Ich meine, wie sie sonst
ist?“
    „Meistens in Trance, also in...
wie sagt man?“
    „...in einem entrückten
Zustand. Wie in Hypnose. Soso! Hoffentlich ist sie wenigstens dann gegenwärtig,
wenn sie Auto fährt.“
    „Sie führt Gespräche mit den
Toten aus dem Jenseits.“
    „Wer’s glaubt, wird selig.“
    Suzanne nickte. „Zu Hause, in
Paris, war ich einmal in einem magischen Zirkel. Mit Geisterbeschwörung und
Hexen-Spucke.“
    „Spucke? Du meinst Spuk! Spucke
ist das!“
    Er drehte den Kopf zur Seite und
spuckte aus.
    „Ferkel!“ sagte Suzanne.
    „Ich will dir doch nur eine
Eselsbrücke bauen, damit du die Worte auseinanderhältst.’
    „Was ist eine Eselsbrücke?“
    „Eine Merkhilfe.“
    „Ein Knoten im Taschentuch?“
    „So ungefähr. Aber mehr im
Gehirn.“
    „Man sagt also, ein Knoten im
Gehirn?“
    „Nee, Suzanne. Das ist was
anderes. Man sagt Eselsbrücke.“
    „Du bringst mich ganz
durcheinander. Bei dir kann ich kein Deutsch lernen. In dem magischen Zirkel
jedenfalls war auch alles Betrug. Aber mit Editha kann ich darüber nicht
sprechen. Vor allem jetzt nicht! Sie vertraut auf Raimondo und Amanda. Sie fest
überzeugt, daß die beiden in dieser schrecklichen Situation als Hellseher
helfen werden.“
    „Helfen? Wie?“
    „Raimondo soll herauskriegen,
wo Volker ist.“
    „Wie denn? Was denn? Mich laust
der Affe! Daher weht der Wind. Na, jetzt kapiere ich.“
    „Du bist ein kluger Junge“,
sagte Suzanne und fröstelte plötzlich. Hastig schlang sie die Arme um sich, was
sie noch schmaler machte.
    „Und? Was hat er rausgekriegt?“
    „Bis jetzt noch nichts. Böse
Mächte, sagt er, hindern ihn. Sie stellen

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