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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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„Was
soll das? Ruhe!“
    Tarzan, der in einer der
mittleren Bänke saß, hatte sich umgedreht und sah zu Gaby hin. Ihr Platz war in
der vorletzten Bank, hinten. Hinter ihr saßen nur noch Werner Kaufmann und
Heinz Bosselt.
    Tarzan sah, wie Gaby um Fassung
kämpfte, sah ihre feuchten Augen — und das versetzte ihm einen Stich durch die
Brust.
    Außerdem sah er, wie Werner Kaufmann
flüsternd und mit vorwurfsvollem Gesicht auf Bosselt einredete. Aber der
brachte ihn mit herrischer Drohgebärde zur Ruhe.
    Werner, ein schüchterner und
ziemlich stiller Junge, verstummte sofort.
    Bosselt grinste, als er Tarzans
Blick auf sich fühlte. Ein hämischer Zug stand in dem pickligen Gesicht.
    Bosselt war schon 15,
wiederholte die Klasse und hatte trotzdem alle Chancen, abermals durchzufallen.
Als „Externer“ kam er morgens mit dem Schulbus aus der Stadt. Ob er dort
Freunde hatte, wußte niemand. In der Klasse hatte er keine. Er galt als
gewalttätig und unkameradschaftlich. Daß er heimlich rauchte, paßte zu ihm.
Meistens trieb er sich in Bierkneipen rum und verspielte viel Geld an
Flipper-Automaten.
    „Carsten!“ schrie die Klamm und
meinte Tarzan. „Dreh’ dich um! Was gibt’s dahinten zu sehen?“
    „Ich glaube, ein Unrecht,
Fräulein Klamm!“
    „Wie bitte?“ Mit vorgerecktem
Kopf sah sie ihn durch ihre dicken Brillengläser an. „Was meinst du damit?“
    „Gaby lügt nicht, Fräulein
Klamm. Wenn sie sagt, sie sei gestochen worden, dann stimmt das. Wer es war,
werde ich rauskriegen, Fräulein Klamm. Dann sage ich’s Ihnen. Und solange
sollten Sie noch warten — mit Ihrer Meldung.“
    „Wie bitte?“ fragte sie
lauernd. „Willst du mir vorschreiben, was ich zu tun habe?“
    Tarzan sah sie nur an. Sein
Gesicht blieb unbewegt.
    So einen dummen Einwand, dachte
er, kann auch nur sie machen. Himmel! Und mit der müssen wir uns noch jahrelang
rumquälen. Bis zum Abitur. Ein Glück, daß nicht alle Pauker so sind.
     
     
     

12.
Bosselt kriegt Keile
     
    Eine Minute später klingelte
es. Die Klamm war mit dem langen Satz, den sie gerade redete, noch nicht
fertig. Trotzdem standen alle auf. Wahrscheinlich merkte die Klamm, daß keiner
sie mochte. Sowas kann auch nette Menschen giftig machen, und für eine „Giftnudel“
ist es besonders schlimm. Aber daran dachte keiner der Schüler. Stühle
scharrten auf dem Boden, und schon war die Klasse fast leer.
    Tarzan blieb stehen und
wartete. Klößchen und Karl traten zu ihm.
    Gaby hatte sich über die Augen
gewischt. Sie versuchte ein Lächeln. Aber es fiel ziemlich kläglich aus. Sie
sah Tarzan an, und in ihren Augen war ein Ausdruck, der ihn verlegen machte.
Für einen Moment schien es, als wollte sie was sagen. Doch dann sagte sie
nichts. Das war auch nicht nötig.
    Als Werner Kaufmann vorbei
wollte, sagte Tarzan: „Warte mal, Werner!“
    Der blieb stehen. Auch Bosselt
blieb stehen.
    „Dich meine ich nicht“, sagte
Tarzan.
    „Deswegen kann ich trotzdem
hierbleiben, oder?“ sagte Bosselt mit seiner etwas heiseren Stimme.
    „Natürlich!“ Tarzan nickte.
Bosselts Benehmen bestätigte seinen Verdacht. Der picklige Kerl wollte Werner
Kaufmann mit seiner Gegenwart einschüchtern. Damit der den Mund hielt. Also
war’s Bosselt gewesen.
    „Also, Werner“, sagte Tarzan
ruhig; „Hast du Gaby gestochen?“
    Erschrocken riß Werner die
Augen auf. „Nein! Natürlich nicht! Das täte ich nie.“
    Er war ein schmächtiger Junge,
zwar lang aufgeschossen, aber überhaupt nicht kräftig. Von ihm wußte man
eigentlich nur, daß er gern bastelte. Ansonsten fiel er nie auf.
    „Wenn du’s nicht warst“, sagte
Tarzan. „Wer dann? Du sitzt hinter Gaby. Also mußt du’s gesehen haben. An
Halluzinationen leidet Gaby bestimmt nicht. Sie hat auch keine Flöhe. Also?“
    Werner war blaß geworden. Er
preßte die Lippen aufeinander. Für einen Moment sah er Bosselt an, dann irrte
sein Blick ab. Bosselt glotzte zurück und schob die Unterlippe vor.
    „Sei ehrlich, Werner!“ sagte
Tarzan. „Und laß dich von Bosselt nicht einschüchtern. Solange ich hier bin,
brauchst du seine Rache nicht zu fürchten. Ich könnte mir vorstellen, daß er’s
war. Sowas Heimtückisches liegt ihm. Auch daß er dann kneift und Gaby seine
Gemeinheit büßen läßt. Nun sag’s endlich, Werner! Wurde Gaby von Bosselt
gestochen?“
    Werner Kaufmann atmete tief.
Dann faßte er einen fast heldenhaften Entschluß. Er nickte.
    „Ja. Heinz hat Gaby gestochen.
Und gedroht, daß er mich zusammenhaut,

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