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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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wenn ich...“
    Weiter kam er nicht.
    Bosselt schlug zu, blitzschnell
und gemein. Mit dem Handrücken traf er Werner auf Mund und Nase. Der schrie
auf, taumelte zurück und hatte sofort Blut im Gesicht.
    Dann wußte Bosselt kaum noch,
wie ihm geschah. Ein wahrer Orkan an Ohrfeigen prasselte in sein Gesicht. Es
klatschte wie beim Schinkenklopfen. Bosselts Kopf flog hin und her. Als er
endlich die Fäuste hochriß und einen Schritt zurückwich, glühten seine Wangen
wie überreife Tomaten. Und Wasser lief ihm in die Augen, weil es wehtat.
    „Du Mistkerl!“ schrie er Tarzan
an. „Ich schlag dich kaputt.“
    Wie ein Wüterich ging er auf
ihn los, hob die Fäuste und holte zum Schlag aus. Aber der Versuch, Tarzan in
den Magen zu boxen, wurde sein Verhängnis.
    So schnell, daß kaum einer
mitkriegte, was da geschah, drehte Tarzan ihm den Arm auf den Rücken. Mit einem
Judogriff, gegen den es kein Gegenmittel gibt.

    Bosselt schrie auf. Aus dem
Schultergelenk sprang ihm fast der Knochen heraus. Während Tarzan den Druck
verstärkte, indem er Bosselts Hand zwischen den Schulterblättern nach oben
zwang, sank der gemeine Kerl langsam auf die Knie.
    „Was ist da los?“ rief die
Klamm, die noch vorn am Tisch saß und ins Klassenbuch eintrug.
    „Bosselt will Ihnen was
erzählen, Fräulein Klamm“, sagte Tarzan.
    „Laß ihn los!“ Die Giftnudel
war aufgesprungen und kam heran.
    Bosselt kniete jetzt. Er
winselte leise, und sein Gesicht schien anzuschwellen wie ein Ballon, in den
zuviel Luft strömt.
    „Los, Bosselt!“ sagte Tarzan.
„Raus mit der Wahrheit!“ Aber weil er das Geständnis nicht erpressen wollte,
ließ er Bosselts Arm los.
    Der Junge bleib auf den Knien,
hielt den Kopf gesenkt und knirschte mit den Zähnen. Aber er schwieg verstockt.
    „Die Nadel steckt unter seinem
Jackenaufschlag“, sagte Werner Kaufmann. „Links.“
    Studien-Assessorin Claudia
Klamm konnte zusehen, wie Tarzan die lange Nähnadel zu Tage förderte.
Triumphierend hielt er sie hoch.
    „Hiermit, Fräulein Klamm, wurde
Gaby gestochen. Von Bosselt. Aber er ist leider ein mieser Typ und hätte es
zugelassen, daß Gaby seinetwegen einen Verweis kriegt. Bitte!“
    Wie ein Geschenk wurde der
Klamm die Nadel überreicht. Sie legte sie auf ihren recht großen Handteller,
starrte darauf und schüttelte den Kopf.
    „So? Naja. Dann wird Bosselt
gemeldet. Mit euch werde ich schon noch fertig! Das wäre ja gelacht.“
    Sie machte kehrt, ging nach
vorn und trug die Nadel wie auf einem Tablett vor sich her. Zu einem
versöhnlichen Wort für Gaby konnte sie sich nicht aufraffen. Offenbar fühlte
sie sich blamiert. Und das mit Recht.
    Tarzan beugte sich über
Bosselt.
    „Wenn du Werner auch nur mit
dem kleinen Finger anrührst, mache ich dich zur Schnecke, Bosselt. Das kannst
du wörtlich nehmen. Und wie du sicherlich weißt: Auf mich ist Verlaß. Zu meinen
Versprechungen stehe ich.“ Bosselt rührte sich nicht. Klößchen grinste wie ein
freundlicher Vollmond und stieß Karl an. Dann gingen die vier Freunde hinaus,
nahmen Werner Kaufmann mit; und Tarzan klappste ihm freundlich auf die
Schulter.
    „Recht muß Recht bleiben, nicht
wahr! Mich kann’s aufregen, wenn so eine Gemeinheit passiert. Bosselt ist
dämlich. Daß außer ihm keiner in Frage kam, war doch klar.“
    Gaby blieb lange Zeit still.
Mit keinem Wort bedankte sie sich bei Tarzan. Aber wie sie ihn mit ihren blauen
Augen ansah — das sprach Bände. Zwar tat er so, als merke er nichts. Aber
innerlich hüpfte er im Dreieck. Allerdings hatte er Sorge, daß die andern
merken könnten, wieviel dankbare Zuneigung in Gabys Augen stand.
    Klößchen merkte es, natürlich.
Karl merkte es. Und sogar Werner Kaufmann. Aber keiner sagte ein Wort, und
keiner riskierte ein Grinsen. Denn in allem, was Gaby betraf, war es nun mal
glatter Selbstmord, sich mit Tarzan anzulegen. Darüber redete man nicht. Das
war stillschweigende Übereinkunft.
    Solange Werner Kaufmann bei
ihnen stand, verloren die vier Freunde kein Wort über Mario Frasketti oder
Raimondo, den Seher. Und wegekeln wollten sie Werner nicht. Nicht, nachdem er
sich so kameradschaftlich gezeigt hatte.
    Die nächsten Stunden schleppten
sich langweilig dahin. Tarzan, der grundsätzlich wie ein Luchs aufpaßt, konnte
sich kaum konzentrieren. Mit Streberei hat seine Aufmerksamkeit nichts zu tun.
Aber er wußte längst, daß man nachmittags bei Hausaufgaben und Pauken viel Zeit
gewinnt, wenn das meiste schon im Kopf sitzt. Und dafür ist ja

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