Der blinde Hellseher
kam auf ihn zu.
„Grüß’ dich, Tarzan“, sagte sie
matt. „Nett, daß du dich für unseren Zirkel interessierst. Volker...“, sie
schluckte. „Volker wäre..“, versuchte sie’s nocheinmal. Aber dann sagte sie:
„Komm’, ich stell dich vor, mein Junge.“
Sie brachte ihn — nachdem er
Herrn Krause begrüßt hatte — zu einem ältlichen Ehepaar. Die Leute hießen
Berger. Er sah ein bißchen so aus, als käme er aus dem vorigen Jahrhundert.
Seine Frau hatte lilafarbene Lippen und papierdünne Haut. Außerdem roch sie
sonderbar: nach Lavendel und Mottenkugeln.
Das Ehepaar Kleinschmidt stand
mit einem hochgewachsenen Mann, der Tarzan den Rücken zukehrte, beim Kamin.
Als Tarzan vorgestellt wurde,
sagte Frau Krause: „Peter Carsten ist Volkers Freund und — weiß Bescheid.“
Woher weiß sie eigentlich, daß
ich Bescheid weiß? schoß es Tarzan durch den Kopf, während er Frau
Kleinschmidts zerbrechliche Hand ergriff. Sie war eine etwas unscheinbare
Blondine mit erschreckten Augen. Sicherlich nahm sie vor jeder Fliege Reißaus.
Ihr Mann erinnerte an einen
fröhlichen Teufel. Sein Gesicht schien wie aus spitzen Winkeln zusammengesetzt:
Die Augenbrauen wuchsen so, der Haaransatz hatte die Form einer Teufelskappe
und sogar die Falten um den Mund nahmen die Dreieckform wieder auf.
„Das ist Peter Carsten, Herr
Kramer“, sagte Frau Krause in diesem Moment. Den Namen Kramer betonte sie
überdeutlich. Gemeint war der hochgewachsene Mann, der sich jetzt umdrehte.
Tarzan wollte schon die Hand
ausstrecken, hielt aber inne. Verblüfft starrte er in das freundliche Gesicht.
„Ich glaube, ich kenne dich vom
Sehen, Peter“, sagte der Mann und blinzelte ganz kurz mit einem Auge.
Es war — Kommissar Glockner.
Gabys Vater.
„Das... das ist möglich“,
antwortete Tarzan und fühlte seinen Händedruck. „Ich bin oft in der Stadt.“
Daher also wußte Frau Krause
Bescheid. Natürlich hatte ihr Kommissar Glockner erzählt, daß er sich an die vier
Freunde wenden würde, um Erkundigungen über Volker einzuziehen.
Auch Herr Glockner war
verblüfft, Tarzan hier anzutreffen. Anmerken ließ er sich das natürlich nicht.
Aber Tarzan, der ihn gut kannte, bemerkte den verwunderten — und dann
amüsierten — Ausdruck in seinen warmherzigen Augen.
„Soso, Peter! Du interessierst
dich also auch für Spiritismus“, sagte er.
„Sehr sogar!“ nickte Tarzan.
„Wenn jemand etwas trinken
möchte“, sagte Herr Krause dazwischen. Seine Stimme wirkte so erschöpft wie
sein Gesicht, und er ließ die Schultern schlaff hängen. „Bitte, an der Bar. Ich
habe Drinks vorbereitet. Für dich, Tarzan, ist Orangensaft da. Oder willst du
lieber Cola?“
„Was zur Hand ist“, sagte
Tarzan, rührte sich aber nicht von der Stelle, sondern blieb bei Kommissar
Glockner stehen, während die anderen zur Hausbar gingen. Sie war auf der
anderen Seite des langgestreckten Kaminzimmers, also ziemlich weit entfernt.
„Du Satansbraten!“ sagte
Kommissar Glockner so leise, daß es die übrigen nicht hören konnten. „Was willst
du denn hier?“
„Naja, ich interessiere mich
für Spiri...“
„Nun hör’ aber auf! Du willst
Detektiv spielen, wie?“
Tarzan nickte. „Sie sind doch
aus demselben Grund hier, Herr Kramer.“ Tarzan sagte wirklich Kramer.
„Mit dem kleinen Unterschied,
daß es mein Beruf ist.“
Tarzan lächelte unschuldsvoll.
„Sie meinten doch selbst, daß ich kein so schlechter Polizist wäre.“
Kommissar Glockner seufzte.
„Was Gaby von dir erzählt, scheint wirklich zu stimmen. Du fürchtest dich vor
nichts, wie?“
„Erzählt sie das?“ fragte
Tarzan mit leuchtenden Augen.
„Bild’ dir nur nichts ein!“
„Ist nicht meine Art. Übrigens:
Den Keller von Mario Fraskettis TRATTORIA brauchen Sie nicht mehr zu
durchsuchen. Dort ist Volker nicht. Auch keine Spur. Und nichts, was verdächtig
wäre.“
„Hast du etwa nachgesehen?
Himmel, auf dich müssen wir aufpassen.“ Dann dämpfte der Kommissar seine Stimme
noch mehr. „Weißt du, was auffallend ist, Tarzan: Volkers Eltern wissen nicht
annähernd soviel von ihrem Jungen wie ihr vier. Aber Gaby sagt, ihr wärt gar
nicht so eng mit Volker befreundet.“
„Sind wir auch nicht. Nur
gelegentlich treffen wir uns. Hier bei Krauses, oder er kommt mal zu Karl, oder
wir verabreden uns irgendwo in der Stadt. Daß seine Eltern nicht viel über ihn
wissen, kann ich mir denken. Die sind doch nur mit sich selbst beschäftigt.
Aber ich glaube, sie meinen
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