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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Rande. Stockhausen
ist noch nicht eingemeindet. Aber man braucht nur eine halbe Stunde bis zur
Innenstadt. Seit die U-Bahn bis nach Stockhausen führt, wird der Boden dort
knapp. Immer mehr Leute wollen aufs Land ziehen — wegen der gesünderen Luft.
Stadtnah wohnen wollen sie trotzdem.“
    Tarzan kannte Stockhausen. Es
war immer noch ein Dorf. Im Sommer trotteten Kühe auf den Straßen, und auf
jedem Misthaufen krähte ein Hahn. Aber im Laufe der letzten Jahre war das Dorf
mit der Großstadt fast zusammengewachsen. Nur ein paar Felder markierten die
Grenze. Aber die Fläche war nicht so groß wie zwischen der Internatsschule und
der Stadt. Durch Stockhausen war Tarzan schon einige Male mit seinen Freunden
geradelt — im Sommer, wenn das Wetter weite Ausflüge zuließ.
    „So, da wären wir!“ sagte der
Kommissar Glockner einige Zeit später und hielt vor dem Schultor.
    „In Stockhausen“, sagte Tarzan,
„bin ich sogar schon mit Volker gewesen. Das fällt mir eben ein.“
    „Tatsächlich. Nur so? Oder
hatte das einen besonderen Grund?“
    „Gaby war auch dabei. Und Karl.
Klößchen nicht. Ich weiß nicht mehr, weshalb er fehlte. Volkers Vater hatte damals
in dem Wald hinter Stockhausen eine ganze Reihe Ferienhäuser gebaut. Jedes
liegt einsam und ist so von Bäumen umgeben, daß man glaubt, man wäre in einer
Jagdhütte. Toll, wirklich! Wir haben Wild beobachtet. In einem Teich konnten
wir schwimmen. Eins der Ferienhäuser gehörte damals den Krauses. Dort waren
wir. Aber inzwischen hat Herr Krause das Haus verkauft. Leider! Ich wäre im
nächsten Sommer gern wieder hingefahren.“
    „Ich entsinne mich, daß Gaby
davon erzählte“, sagte Herr Glockner. „Wie lange liegt denn der Ausflug
zurück?“
    „Nicht lange. Ich glaube, es
war Anfang September. An einem Wochenende.“
    „Naja, ihr werdet andere Ziele
für eure Ausflüge finden.“
    Sie stiegen aus und holten
Tarzans Rad aus dem Wagen.
     
     
     

15.
Auf nach Stockhausen!
     
    Klößchen schlief noch nicht.
Tarzan mußte ausführlich erzählen. Im ADLERNEST war es behaglich warm. Aber
draußen tobte jetzt ein Unwetter, als ginge die Welt unter. Während Tarzan
seine Vermutungen über Raimondo ausbreitete, zog er sich aus. Flanellhose und
Cordjacke wurden ordentlich auf den Bügel gehängt. Diese Sachen trug er nur
selten. Für seine Verhältnisse war es eine geradezu festliche Aufmachung; und
dazu gehören nun mal festliche Anlässe.
    Bevor er die Sachen weghängte,
leerte er die Taschen. Fahrradschlüssel, Portemonnaie, Taschentuch, das
vernickelte Taschenmesser und...
    „Nanu!“ sagte er. „Was ist denn
das?
    Es war ein kleingefalteter
Zettel: mit Aufdruck, Linierung und handschriftlicher Eintragung.
    Nachdem er ihn ausgebreitet
hatte, genügte Tarzan ein Blick.
    „Du meine Güte!“ Er gab sich
selbst eine Kopfnuß.
    „Was ist denn?“ fragte Klößchen
neugierig und stauchte wieder an seinem Kopfkissen herum, weil ihm die Form
nicht bequem genug war.

    „Von Volker!“ Tarzan hielt den
Zettel hoch. „Ein Kontrollabschnitt für Fotos. Seine Fotos. Von der
Klassen-Party neulich. Die Bilder sind noch im Foto-Geschäft, aber seit gestern
fertig. Ich sollte sie für ihn abholen, weil ich sowieso hinmußte. Hab’s
verschwitzt. Na, und Volker hat auch nicht mehr daran gedacht.“
    „Von der Klassen-Party hätte
ich gern Fotos“, meinte Klößchen. „Gib mir den Bon. Ich hole die Bilder morgen
ab.“
    „Laß’ man. Das mach’ ich schon.
Kannst ja mitkommen. Zu dumm, daß ich das vergessen habe. Unzuverlässigkeit ist
mir ein Greuel.“
    „Kann vorkommen.“ Klößchen
setzte sich auf. Zweimal schlug er dann mit der Faust auf sein Kopfkissen.
„Mistding! Entweder es klumpt, oder es stachelt wie Stroh. Für das teure Heimgeld
könnte man mehr Komfort erwarten. Morgen hole ich mir mein Kopfkissen von zu
Hause.“
    „Stell’ dich nicht so an. Alle
können damit schlafen. Wieso ausgerechnet du nicht?“
    „Mein Kopf ist eben schwerer
als andere. Das hängt mit dem Inhalt zusammen.“
    „Wieso? Stroh wiegt doch
leicht.“
    „Hahahah! Witz komm’ raus! Du
bist umzingelt. Aber du wolltest noch was von Raimondo erzählen.“
    „Erzählt habe ich alles. Einen
Entschluß will ich mitteilen.“ Tarzan schlüpfte ins Bett. Daß er sich die Zähne
noch nicht geputzt hatte, vergaß er geflissentlich. Allerdings — bei seinen
Pracht-Beißern war das nicht so schlimm, zumal er fast nie Zucker oder
Süßigkeiten aß: Einfach, weil er’s nicht

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