Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
Radweg
begleitet — Gott sei Dank! Denn hier fuhren die meisten Wagen mit erhöhter
Geschwindigkeit.
    Auf den Weiden hatten die
Bauern Dung ausgesprüht. Man roch’s. Der Rauhreif war inzwischen getaut.
Schmutziggrau und braun sah das Gras aus. Die Felder waren schwarz, die Erde
dampfte. Krähen hockten in Scharen darauf. Ihr Geschrei war weithin zu hören.

    Es wurde wärmer, je höher die
Sonne stieg. Klößchen schwitzte bereits, als wäre es Sommer. Tarzan fuhr mit
Oskar an der Spitze. Dann kam Gaby. Karl hängte sich an ihr Hinterrad, und
Klößchen fühlte sich, wie immer, als Schlußlicht am wohlsten. Er hielt das für
schlau, im Windschatten der anderen zu fahren. Jetzt freilich kam der Wind von
der Seite; und Tarzan mußte aufpassen, daß Oskars Ohren nicht in die Speichen
gerieten.
    STOCKHAUSEN — stand auf einem
gelben Ortsschild.
    Der Radweg mündete in die
Dorfstraße. Gemütlich aussehende Häuser standen zu beiden Seiten. Das Gasthaus
hieß ZUM BÄREN, hatte aber zur Zeit geschlossen. Sie erreichten den Dorfplatz.
In der Mitte plätscherte ein Viehbrunnen. Ein sommersprossiger Junge mit
struppigem Haar hockte auf seinem Fahrrad, hatte einen Fuß auf den Rand des
Brunnens gestützt und sah den vier Freunden neugierig entgegen. Er mochte in
ihrem Alter sein. Das linke Handgelenk steckte in einem Gipsverband.
    „Hallo!“ sagte Tarzan und hielt
neben ihm. „Bist du von hier?“
    „Klar, Mann!“ antwortete der
Junge und glotzte Gaby an, als sähe er eins der sieben Weltwunder.
    „Stimmt es, daß hier im Dorf
ein Hellseher wohnt?“
    „Der Blinde? Klar. Der wohnt
hier.“
    „Und wo?“
    „Soll ich euch hinbringen?“
    „Nee, danke! Es genügt, wenn
du’s beschreibst.“
    „Dort den Weg rein!“ Er zeigte
es mit seiner Gipshand. „Dann immer geradeaus. Rechts biegt ein Weg ab. Den
dürft ihr nicht rein. Ein Stück weiter biegt rechts nochmal ein Weg ab. Den
dürft ihr auch nicht rein. Sondern immer geradeaus. Bis zu der Viehtränke. Dort
ist das Dorf zu Ende. Ihr seht dann das Hasen-Wäldchen. Die Straße führt durch.
Gleich dahinter wohnt er. Mit seiner Frau. So’ner Blonden. Der Hof hat dem
Großvater von meinem Freund mal gehört. Aber der ist schon lange tot.“
    „Wer? Dein Freund?“
    „Nein, Mann! Der Großvater.“
    „Ist es schlimm mit deinem
Arm?“
    „Angebrochen. Aber in zwei
Wochen kommt der Gips runter.“
    „Na, dann gute Besserung“,
sagte Tarzan. „Und vielen Dank!“
     
     
     

16.
Ein Schlag auf die Rippen
     
    Solange die Straße übers Feld
führte, wärmte die Sonne. Aber als die Kinder ins Hasen-Wäldchen fuhren, wurde
es schlagartig kalt. Die schmale Straße wand sich in Kurven. Buchen hatten ihr Laub
abgeworfen und den Waldboden mit einem kupferfarbenen Teppich bedeckt. Vögel
und Kleintiere raschelten darin.
    Tarzan radelte ein Stück voraus
— als Kundschafter. Oskar hatte er bei Gaby gelassen.
    Schon hinter der nächsten Kurve
hörte der Wald auf. Der ehemalige Bauernhof lag in einer Senke und war von
Sonnenlicht übergossen.
    Tarzan hielt sofort und hob
warnend die Hand. Er verbarg sich hinter einem dicken Buchenstamm und sah aus
zusammengekniffnen Augen hinüber.
    Das Bauernhaus war nicht groß
und noch einigermaßen ordentlich, wenn man davon absah, daß die Dachschindeln
erneuert werden mußten. Tarzan konnte die hellen Gardinen hinter den Fenstern
erkennen. Vor der Eingangstür stand ein Hackklotz. Ein Beil war
hineingeschlagen. Der Stiel ragte fast senkrecht empor.
    Die Scheune sah schlimm aus.
Bretter waren aus den Wänden gerissen. Das Tor fehlte. Sie diente jetzt als
Garage. Die dunkle Limousine, mit der Raimondo und Amanda zu den Krauses
gekommen waren, stand darin. Hinter dem Haus, aber seitlich versetzt, war ein
langgestreckter Stall. Was man davon sah, war genauso baufällig wie die
Scheune.

    Gaby, Klößchen und Karl standen
hinter Tarzan und äugten ebenfalls hinüber.
    „Ungestört sind sie hier
jedenfalls“, meinte Karl.
    „Sie halten sich kein einziges
Tier“, sagte Gaby. „Nicht mal einen Hund. So ein Bauernhof mitten in grüner
Natur und weit und breit kein Tier — das wirkt gespenstisch. Auf mich
jedenfalls.“
    „Gespenstisch!“ lachte Karl.
„Du sagst es. Die halten sich Gespenster statt Tiere. Dafür sind sie Experten.“
    „Achtung!“ sagte Tarzan.
    Aber die andern hatten es schon
bemerkt und duckten sich unwillkürlich, obwohl sie hier vor Entdeckung sicher
waren.
    Amanda, das Medium, trat aus
dem Haus.
    „Das ist

Weitere Kostenlose Bücher